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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich
Autoren: Betty McDonald
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seinem breiten Rücken schloß, schleppten wir Stöße von Witzblättern, den Vorrat mehrerer Monate, herbei und ließen es uns bei heißen Bädern und wonnevoller Trägheit wohl sein bis zur Rückkehr. Mindestens sechs Monate im Jahr verbrachte Vater fern von daheim, und es ist ein Wunder, daß unsere Muskeln es gut überstanden, einmal hart wie Granit und dann wieder schlapp wie Pudding zu werden. Der Unterricht allerdings erfuhr keine Unterbrechung während meines Vaters Abwesenheit; die sportliche Ertüchtigung wurde nur deshalb vernachlässigt, weil Mutter und Gammy genauso wenig Lust hatten wie wir, morgens um fünf Uhr aus den Federn zu kriechen, sich in kalte Bäder zu stürzen und dann warm zu turnen.
    Wie man mir später unter die Nase rieb, war ich schuld an Vaters Gesundheitskomplex, weil ich ein so mageres, grüngesichtiges Ding war, das alle Krankheiten auflas. Bis zu jenem Zeitpunkt hatte ich schon Masern – die deutsche sowie der Vollständigkeit halber auch die alliierte Abart –, Röteln, Mumps, Windpocken, Scharlach, Keuchhusten, Läuse und Krätze heimgebracht und die anderen angesteckt. Jeden Morgen, bevor ich zur Schule ging, wurde ich einer strengen Musterung durch Mutter und Gammy unterzogen, ob sich über Nacht vielleicht wieder eine Krankheit bei mir niedergelassen habe, denn ich war so blaß und schwächlich, daß man meinem Aussehen nach nie urteilen konnte und auf äußere Anzeichen wie Pusteln oder ähnliches warten mußte.
    Wir lebten immer in großen Wohnungen, weil Vater es liebte, Gäste bei sich aufzunehmen. Es geschah zum Beispiel, daß er Mutter von Alaska telegrafierte: GEH ZUR ANKUNFT DES SS ALAMEDA AM DONNERSTAG STOP BILL SWIFT TRIFFT MIT FAMILIE FÜR EINIGE MONATE IN SEATTLE EIN STOP HABE SIE EINGELADEN BEI UNS ZU WOHNEN. Mutter seufzte ergeben, bezog die Betten in den Gastzimmern und begab sich gehorsam zum Schiff. Manchmal waren Bill Swift und seine Familie reizend, und wir bedauerten es ehrlich, wenn sie uns verließen, aber manchmal war Bill Swift auch ein Ekel, seine Frau ein Scheusal und die Kinder widerliche Geschöpfe, mit denen wir von Anfang an auf Kriegsfuß standen. Gammy war ein untrügliches Barometer, an dem die Charaktere der Gäste abgelesen werden konnten. Waren es nette, gescheite Leute, überbot sich Gammy an Liebenswürdigkeit und Witz, waren sie jedoch langweilig oder unangenehm, nannte sie sie unweigerlich mit falschen Namen, und wir wußten gleich Bescheid. Hießen die Leute Swift, sprach Gammy sie mit Smith, Sharp oder gar Wolf an. Hieß eines der Mädchen Gladys, rief Gammy unbelehrbar Gertrud oder Glessa; hieß ein Junge Tom, wurde er in Tawn umgetauft. Doch standen Gammy auch andere Mittel zu Gebote, ihnen zu zeigen, daß sie uns auf die Nerven gingen. Sie machte sich nichts daraus, von ihrem Schlafzimmer im zweiten Stock zu uns, die wir im Erdgeschoß spielten, hinunterzurufen: »Kinder, seht mal nach, ob diese Plagegeister noch im Badezimmer sind. Seit einer Stunde warte ich, daß es frei wird.« Wir bewunderten Gammys Schlauheit, denn die Gäste wußten natürlich, daß wir noch mehr Badezimmer hatten. Wir warfen uns vielsagende Blicke zu, quietschten vor Vergnügen und ließen Gammy ungefähr fünfmal die Aufforderung wiederholen, bevor wir uns meldeten. Mutter muß während solcher Zeiten ein Engel an Geduld, Liebenswürdigkeit und Takt gewesen sein, denn trotz Gammys unmißverständlichen Bissigkeiten blieben unsere Gäste bis zum letzten Tag ihres geplanten Aufenthaltes und schienen sich nur ungern von uns zu trennen.
    Als ich elf Jahre alt war und auf dem besten Wege, in der Ballettstunde auf der Spitze meiner Zehen zu trippeln, zogen wir nach Laurelhurst in der Nähe der Küste. Unser Haus war wundervoll, mit einem Obst- und Gemüsegarten, Tennisplätzen und einem großen Garten zum Krocketspiel. Wir kauften unverzüglich eine Kuh (die bald darauf kalbte), zwei Reitpferde, zwei Hunde, drei Katzen, eine Schildkröte, weiße Mäuse, zwölf Hühner, zwei Enten, mehrere Goldfische und einen Kanarienvogel. Unsere Tiere waren keine ausgesprochenen Nutztiere, aber sie zeichneten sich durch besondere Anhänglichkeit aus, denn sie hielten sich Tag und Nacht in der Nähe der Hintertür auf. Wir hatten einen Schuljungen, der die Kuh melken, das Kalb füttern, die Pferde striegeln und alle zusammen aus der Nähe des Hauses vertreiben mußte, aber entweder war er zu schwach, oder die Tiere waren zu stark, denn kaum drehte er den Rücken, sprangen,
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