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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich
Autoren: Betty McDonald
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krochen oder watschelten sie wieder zur Küchentür, wo Gammy sie mit übriggebliebenen Eierkuchen, getoastetem Brot und Kakao fütterte. Wir liebten unsere Tiere, und unsere Gäste liebten sie auch oder ließen sich zumindest nicht von ihnen stören, denn unser Haus war immer voll mit Gästen und Tieren. Mutters Gäste, Vaters Gäste, Gammys Gäste, unsere Spielkameraden und unsere Tiere tummelten sich darin. Unsere Familie bestand aus sieben Personen, wenn man Vater mitzählte, der ja selten daheim war, aber unser Tisch war stets wenigstens für zwölf gedeckt, manchmal sogar für vierzig. Mutter saß an einem Ende der Tafel, Vater am anderen, wenn er gerade da war, und Gammy zu seiner Rechten. Wir Kinder waren vorsichtshalber verteilt, um Balgereien zu vermeiden. Vater hatte einen strengen Befehl erteilt, der auch eingehalten wurde, wenn er nicht anwesend war, nämlich, daß beim Essen nur über Dinge von allgemeinem Interesse gesprochen werden durfte. Das machte Bemerkungen wie: »In meiner Klasse ist ein Junge, der verschluckt lebende Fliegen«, oder »Myrna Hepplewaite hat mir die Zunge rausgestreckt, und ich habe bäh, bäh, bäh gemacht, und sie hat mir einen Stoß versetzt, und ich hab’s ihrer Mutter erzählt…« unmöglich. Vaters Befehl hinderte uns im Grunde an jeder Teilnahme am Tischgespräch bis auf seltene Ausnahmen, und ich muß gestehen, daß seine Anordnung sehr weise war. Ich finde es scheußlich, wenn ich irgendwo eingeladen bin und gerade eine pointenreiche Geschichte zum besten gebe, durch »Stopf dir den Mund nicht so voll, Hubert« oder »Ist’s wahr, Mammi, daß der Osterhase durch den Kamin kommt?« unterbrochen zu werden.
    Kaum hatten wir uns in Laurelhurst einigermaßen installiert, kam Vater auf die glorreiche Idee, Marys, Darsies und mein Unterricht in Klavier, Gesang, Volkstanz, Ballett, Französisch und Literatur sowie Cleves Klarinettenstunden müßten noch durch einen Kursus praktischer Ertüchtigung ergänzt werden. Sein erster Schritt in dieser Richtung war, daß er Mary, Cleve und mich das Dach unseres dreistöckigen Hauses anstreichen ließ. Das Dach sollte rot werden, also versah er jeden von uns mit einem Eimer roter Farbe, einem breiten Pinsel, einer Leiter und sehr allgemein gehaltenen Anleitungen für das Anstreichen eines Daches. Leitern scheinen nicht genug vorhanden gewesen zu sein, ich kann mich nicht mehr genau erinnern, jedenfalls kletterten Cleve und ich auf die gleiche. Er stand zwei oder drei Sprossen über mir, wir bissen die Zähne zusammen und schmierten rote Farbe aufs Dach, was das Zeug hielt. Wir knieten uns nicht etwa deshalb so in die Arbeit, weil sie uns besonderen Spaß machte, sondern weil wir dachten, dies sei einmal wieder einer von Vaters verrückten Einfällen, und es sei am besten, damit so schnell wie möglich fertig zu werden. Wir hatten den Dachvorsprung über der Hintertür angestrichen und wollten höher klettern, als irgend etwas schiefging und Cleve seinen Farbkübel über mich ausschüttete. Gammy schrubbte mich mit Terpentin ab und schimpfte dabei vor sich hin: »Es ist ein Wunder, daß ihr mit dem Leben davongekommen seid bei dieser Schnapsidee, wie sie nur Männer haben können.« Trotzdem wurde die einmal begonnene Arbeit beendet, wenn auch Vater mich vorsorglich an den Beinen hielt, während ich die Dachfenster bepinselte. Es war keine sehr gemütliche Beschäftigung und, was Erziehung zur Tüchtigkeit anbelangt, ein Mißerfolg auf der ganzen Linie. Vaters nächster Schritt war der Erwerb einer 22er Pistole und einer großen Schießscheibe. Gammy bekam hysterische Anfälle. »Feuerwaffen!« schrie sie. »Feuerwaffen sind für Hunnen und Heiden gemacht. Die Kinder werden sich gegenseitig umbringen, das wirst du davon haben. Darsie, sei vernünftig, gib ihnen keine Schußwaffe in die Hand!« Wir lernten also schießen. Mary und ich litten an Kurzsichtigkeit und legten nicht viel Ehre ein, aber Cleve erwies sich als sehr begabt und brachte fortan viele Stunden täglich mit Üben zu. Bald fühlte er sich zum Meisterschützen berufen. Kaum zehn Jahre alt, wandte er sich der Jagd zu, und Vater war begeistert, bis Cleve sich als Ziel eine Wachtel erkor, die sich auf dem Sims des großen Erkerfensters unseres Nachbarn sonnte. Die Nachbarn kamen mit dem Leben davon, aber das Erkerfenster kostete ziemlich viel Geld, die Pistole verschwand für eine Weile in der Versenkung, und Vater kaufte statt dessen Pfeil und Bogen und eine
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