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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich
Autoren: Betty McDonald
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die holprige Landstraße tat dem werdenden Kindchen nicht gut.
    Kurz vor Weihnachten mußte Bob für drei Tage nach Seattle. Am zweiten Tag saß ich ohne Kerosin da, dabei tobte draußen der Sturm, fuhr heulend und ächzend in die Baumkronen, zerrte an den Fensterläden, und schon bald nach vier Uhr herrschte Dunkelheit. Ich zündete Kerzen an und behalf mich mit ihrem flackernden Licht. Als ich den Tieren frisches Wasser und Futter brachte, sahen sie mich alle bedeutungsvoll an, als wollten sie sagen: »Nimm uns mit ins Haus.« Doch ich blieb fest, versperrte die verschiedenen Ställe und schlich mich in die Küche zurück. Der Wind hatte die Hintertür aufgerissen, die Kerzen ausgeblasen und das Baby erschreckt. Ich schloß die Tür, zündete die Kerzen wieder an, heizte Herd tüchtig ein und bereitete das Essen. Um halb sechs Uhr lagen wir im Bett, und zwar alle im gleichen: Anne und ich unter der Decke, Sport, der Welpe und die Kätzchen am Fußende.
    Ich ließ die Kerzen brennen, obwohl es schwierig war, die Wahl zwischen Verbranntwerden bei lebendigem Leibe und einem Herzschlag vor Angst zu treffen.
    Am nächsten Tag kam Bob zurück. Er brachte einen Hauch der Stadt mit in unsere Weltabgeschiedenheit und war so guter Laune, daß ich nicht wagte, ihm einzugestehen, daß ich wieder einmal vergessen hatte, Kerosin zu bestellen. Wir mußten uns noch einen Abend mit Kerzenlicht behelfen, aber es störte uns nicht. Wir waren viel zu aufgeregt, denn Bob hatte wundervolle Nachrichten mitgebracht. Er war nach Seattle gefahren, um sich dort eine zum Verkauf ausgeschriebene Hühnerfarm anzusehen, hatte mir aber den Mund nicht wässerig machen wollen, bevor er sich das Objekt mit eigenen Augen angesehen hatte. Die Ställe und Nebengebäude waren gut erhalten, wenn auch kleine Reparaturen und ein neuer Anstrich nötig sein würden. Der Preis war hoch, aber nicht unerschwinglich, und das Wohnhaus modern. Der Agent, durch den Bob auf die Farm aufmerksam gemacht worden war, hatte auch einen Käufer für unser jetziges Anwesen, und zwar einen, der bar zu zahlen imstande und auch willens war.
    Der Sturm heulte ums Haus, die Kerzen flackerten und erloschen. Herd bockte, aber ich bemerkte nichts von alledem. Ich lief durchs Haus, blind für die Gegenwart, doch hellsehend für lockende Zukunftsbilder von Linoleumböden, Badezimmern, elektrischen Öfen und Wasserklosetts. Das Leben, das meiner harrte, schien eitel Freude zu verheißen.
    Nach Tisch beschäftigten wir uns mit Berechnungen über Aktiva und Passiva. Das heißt, nur Bob tat dies, ich berechnete einzig, wieviel Arbeitsstunden täglich mir eine moderne Kücheneinrichtung ersparen würde. »Ich denk mir«, sagte ich wonnetrunken von den Zukunftsaussichten, »daß wir mit elektrischem Licht im Bruthaus und fließendem Wasser und all den Einrichtungen doch sicher nicht vor sieben Uhr oder halb acht aufstehen müssen.«
    »He?« machte Bob nur, ohne von seinen Berechnungen aufzublicken. Ich wiederholte: »Ich denke, daß wir nicht mehr vor sieben oder halb acht Uhr aufstehen müssen, wenn wir elektrisches Licht und fließendes Wasser in den Bruthäusern haben.«
    »Oh, das hat nichts mit dem Aufstehen zu tun«, erwiderte er ungerührt. »Hühner müssen frühzeitig gefüttert werden, und je zeitiger man sie füttert, desto eher fangen sie mit dem Eierlegen an.«
    Woraus ersichtlich ist, daß der Besitzer einer Hühnerfarm keineswegs sein eigener Herr ist. Die Henne ist sein Meister.
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