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Das Ei und ich

Das Ei und ich

Titel: Das Ei und ich
Autoren: Betty McDonald
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das Wasser sei mir schon an der Kehle. Mit aller Energie riß ich mich zusammen und brachte es wirklich fertig, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich packte den Schürhaken, machte einen Schritt vorwärts und schrie: »Machen Sie, daß Sie rauskommen! Raus! Aber sofort!« Die Verrückte hörte auf zu lachen, sah mich einen Augenblick zweifelnd an und trollte sich dann grinsend und immer in ihrem idiotischen Hopsschritt durch den Garten, hinüber zu den Kettles.
    Ich beobachtete sie, bis sie um die erste Straßenbiegung verschwunden war, dann sank ich auf mein Bett. »Ich werde hysterisch«, erklärte ich mir selbst. Aber da wachte Anne auf, jauchzte, streckte mir die Ärmchen entgegen und ließ mir keine Zeit mehr, über mich nachzugrübeln.
    Eine Stunde später kam Bob mit Naschzeug, neuen Zeitungen und Magazinen und einer Wagenladung Holz aus dem Städtchen zurück. Ich wartete bis nach dem Essen mit dem Bericht von der Verrückten und verzichtete von vornherein darauf, ihm meine gräßliche Angst zu schildern, denn unsere gefühlsmäßigen Reaktionen waren viel zu verschieden. »Warum hast du nicht einfach ein Gewehr genommen? Mit einem Gewehr in der Hand kann dir nichts geschehen.« Das stimmte für Bob, aber nicht für mich. Denn wenn man nun einmal zu der Sorte Erdenbürger gehört, die im Augenblick der Gefahr instinktiv nach dem Schürhaken greift, statt nach dem Gewehr, muß man sich damit abfinden, so zu sein, und das Beste aus dieser Veranlagung zu machen versuchen, was daraus zu machen ist.
    Nach dem Essen fuhren wir zu den Kettles hinüber, und ich erkundigte mich, ob sie über die Verrückte Bescheid wüßten. Mrs. Kettle war nicht weiter erstaunt. »Ach ja, sie war heut nachmittag auch hier, ’s is ’ne alleinstehende Schwester von ’ner Frau unten im Tal. Meistens is sie ja in ’ner Anstalt, aber wenn sie ’n bißchen Geld zusammenkratzen können, lassen sie sie immer mal wieder heimkommen. Sie tut niemandem nichts. Sie is bloß einsam.«
    »Und wo ist sie jetzt?« erkundigte sich Bob.
    »Bei den Larsens, denk ich«, erwiderte Mrs. Kettle. »Sie haben schon dem Sheriff berichtet, da wird er sie wohl abholen lassen, un dann kommt sie wieder in die Anstalt.«
    Am nächsten Morgen begann Bob am neuen Hühnerstall zu arbeiten, und ich half ihm. Ich holte den Hammer, schnitt Bolzen, reichte ihm Nägel, und es war alles genauso wie im ersten Jahr. Doch als er mich fragte: »Willst du Holz für die Dübel zum Dach spalten?« erwiderte ich lustlos »Ja«, obwohl das sonst eine meiner Lieblingsbeschäftigungen war.
    Beim Essen schlug er mir vor, am Nachmittag ins Städtchen zu fahren und ins Kino zu gehen. Er hatte Jefferson gebeten, die Kleine zu hüten. Ich war einverstanden, beeilte mich mit dem Abwaschen und wartete dann fertig angezogen mit ihm auf Jeffs Erscheinen. Nach fünfzehn Minuten schweigenden Dasitzens machten wir uns klar, daß es für die erste Vorstellung auf jeden Fall zu spät werden würde; also zogen wir unsere Mäntel wieder aus, und Bob zündete für jeden von uns eine Zigarette an. Wir saßen da, rauchten und ließen die Zeit vergehen. Bob drehte das abgebrannte Streichholz zwischen den Fingern, ich sah ihm dabei zu und hörte die Küchenuhr ticken. »Glaubst du, daß er noch kommt?« fragte ich nach einer Weile. »Oh, sicher«, antwortete Bob und. sah mich forschend an. »Lieber Himmel!« dachte ich, »wir benehmen uns wie zwei flüchtige Bekannte, die sich plötzlich im gleichen Hotelzimmer treffen.« Die Uhr tickte. »Hast du die Scharniere bestellt?« fragte Bob. »Das hab ich ganz vergessen!« entgegnete ich, sprang schuldbewußt auf, um nach den Katalogen zu suchen. »Ach, laß doch jetzt«, brummte Bob und starrte weiter ins Feuer. Ich zündete mir eine neue Zigarette an und dachte: »Es ist ja ganz schön, wenn Mann und Frau zusammen schaffen, aber sobald der Mann mehr an die Lasten zu denken beginnt, die die Frau auf ihren Schultern trägt, als an die Schultern selbst, ist’s bitter.« »Ich glaub nicht, daß Jeff noch kommt«, war alles, was ich von meinen Gedanken äußerte.
    »Scheint so«, erwiderte Bob und nahm sich ebenfalls eine neue Zigarette.
    Der Oktober neigte sich seinem Ende zu, es wurde November. Des Morgens beim Aufstehen hörten wir den Regen aufs Dach trommeln, und des Abends beim Schlafengehen trommelte er immer noch in der gleichen Tonstärke.
    Samstags fuhr ich mit Bob ins Städtchen, aber auch das würde bald aufhören, denn die lange Fahrt über
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