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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Autoren: Walter Kempowski
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Zivilisten, die ich während des Tages gesehen hatte, alle schienen sie wie geschlagen zu sein und waren völlig verschüchtert gewesen. Tedder stand auf, hielt einen Bogen Papier in der Hand und fragte mit seiner dünnen Stimme, in gebührendem scharfen Tonfall, ob die Deutschen die Kapitulationsbedingungen, die ihnen ausgehändigt worden seien, annähmen. Er sprach englisch, ein Dolmetscher übersetzte seine Worte zuerst ins Russische, dann ins Deutsche. Keitel antwortete, daß er die auf dem Bogen – den er hochhob – geschriebenen Bedingungen annehme; seine Antwort wurde von Dolmetschern auf russisch und englisch wiederholt.
    Keitel wurde dann aufgefordert, zum Tisch zu kommen und zu unterzeichnen. Es waren mehrere Exemplare, er unterschrieb jedes rasch, entschlossen, in verächtlicher Haltung. Wir konnten ihn zwar nicht sehen, als er unterschrieb, er war von einer Horde Photographen und Korrespondenten umringt. Ein russischer Kameramann, der seinen schweren Apparat und Stativ schleppte, hatte einen eifrigen Schrittmacher, der die Kollegen beiseite drängte, was ihm einen Faustschlag ins Gesicht einbrachte, den er aber sofort zurückgab, was zwar zu unserer Unterhaltung, nicht aber zur Erhöhung der Würde des historischen Ereignisses beitrug. Ich wünschte, Beetle hätte das sehen können.
    Als Keitel zu seinem Tisch zurückgegangen war, gingen Friedeburg und Stumpff zum Tisch und unterschrieben. Danach unterzeichneten Schukow und Tedder als Vertreter der Alliierten, Spaatz und Tassigny fügten ihre Unterschriften als Zeugen hinzu.
    Während der Zeit diskutierte Keitel heftig mit dem amerikanischen Dolmetscher, Reinhardt. Ich erfuhr nachher, daß Keitel dringend Fristverlängerung für die Benachrichtigung der einzelnen Truppenabteilungen verlangt hatte, da die Verbindungsmöglichkeiten so schlecht seien. Keitels anmaßendes Verlangen, den Text, den er gelesen und unterzeichnet hatte, noch zu ändern, kam zu spät, denn es gab keine Einspruchsmöglichkeit und die Feindseligkeiten würden innerhalb von wenigen Minuten formell eingestellt werden.
    Als die alliierten Vertreter unterzeichnet hatten, stand Schukow auf und befahl barsch, daß die Deutschen sich entfernen sollten. Keitel erhob sich sofort, die anderen folgten seinem Beispiel, er klappte die Absätze zusammen, grüßte mit seinem Stab, machte kehrt und stolzierte zum Raum hinaus.
    Nachdem sie fort waren, ging die Gesellschaft auseinander und verteiltesich auf die Nebenzimmer, wo die Photographen und Kameramänner mit vielen Lampen ihr Werk fortsetzten. Es scheint, als hätte jeder Russe eine Kamera «befreit». Es werden mindestens tausend Aufnahmen gemacht worden sein und die Zahl der russischen Berufs- und Amateurphotographen scheint keinerlei Beschränkung erfahren zu haben – die westlichen Alliierten hatten im ganzen drei zur Stelle.
    In der Zwischenzeit hatten Mädchen in Uniform im Ratifizierungssaal die Tische für das unvermeidliche Festbankett gedeckt. Wir nahmen die gleichen Sitze ein, wie gegen 1 Uhr 30. Mir fiel meine Serviette auf – sie war ein Stück eines Bettuches, für mich ein Zeichen der Entbehrungen der Russen. Ich steckte sie in die Tasche als ein Souvenir für Beverly.
    *
    Aus dem letzten deutschen Wehrmachtbericht
Berlin
    Seit Mitternacht schweigen nun an allen Fronten die Waffen. Auf Befehl des Großadmirals hat die Wehrmacht den aussichtslos gewordenen Kampf eingestellt. Damit ist das fast sechsjährige heldenhafte Ringen zu Ende. Es hat uns große Siege, aber auch schwere Niederlagen gebracht. Die Deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen.
    Der deutsche Soldat hat, getreu seinem Eid, im höchsten Einsatz für sein Volk für immer Unvergeßliches geleistet. Die Heimat hat ihn bis zuletzt mit allen Kräften unter schwersten Opfern unterstützt. Die einmalige Leistung von Front und Heimat wird in einem späteren gerechten Urteil der Geschichte ihre endgültige Würdigung finden.
    Den Leistungen und Opfern der deutschen Soldaten zu Lande, zu Wasser und in der Luft wird auch der Gegner die Achtung nicht versagen. Jeder Soldat kann deshalb die Waffe aufrecht und stolz aus der Hand legen und in den schwersten Stunden unserer Geschichte tapfer und zuversichtlich an die Arbeit gehen für das ewige Leben unseres Volkes. Die Wehrmacht gedenkt in dieser Stunde ihrer vor dem Feinde gebliebenen Kameraden. Die Toten verpflichten zu bedingungsloser Treue, zu Gehorsam und Disziplin gegenüber dem aus
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