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Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45

Titel: Das Echolot Abgesang '45. Ein kollektives Tagebuch (4. Teil des Echolot-Projekts) - Kempowski, W: Echolot/Abgesang '45
Autoren: Walter Kempowski
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alles übersetzt ist, vollführt eine Handbewegung auf sich zu als Zustimmung, daß ihm die Urkunde zur Unterschrift vorgelegt werden soll.
    Shukow streckt jedoch mit einer kurzen Bewegung den Arm in Richtung der Deutschen aus, deutet auf den Tisch, an dem die Verbündeten sitzen, und sagt hart: «Sollen sie zum Unterschreiben herkommen.» Als erster steht Keitel auf. Er tritt an die schmale Seite des Tisches, setzt sich in den dort stehenden Sessel und unterzeichnet mehrere Exemplare derUrkunde. Dann kehrt er an seinen Tisch zurück, setzt sich und nimmt die alte Pose ein. Zum Schreiben hat er einen Handschuh abgestreift. Jetzt zieht er ihn wieder an.
    Nach ihm gehen Stumpff und Friedeburg unterschreiben. Unterdessen sehe ich weiter zu Keitel hin. Er hat sich halb dem Tisch der Alliierten zugewandt, betrachtet sie und grübelt so angestrengt über etwas nach, daß er unbewußt die rechte behandschuhte Hand ans Gesicht führt und sich über die schwer herabhängenden Wangen streicht.
    Der letzte der drei Deutschen kehrt auf seinen Platz zurück.
    Shukow steht auf und sagt: «Die deutsche Delegation kann den Saal verlassen.»
    Die Deutschen erheben sich. Keitel vollführt mit dem Marschallstab die gleiche Bewegung, die er eingangs gemacht hat, als er eingetreten ist, dreht sich um und geht hinaus. Die anderen folgen ihm. Die Tür wird geschlossen.
    Und plötzlich weicht die gestaute Spannung aus dem Saal. Sie verfliegt, als hätten alle lange den Atem angehalten, der nun der Brust entströmt. Ein allgemeiner Seufzer der Erleichterung und Erschöpfung bricht sich Bahn.
    Die Kapitulation ist besiegelt, der Krieg zu Ende.
    Der Marineadjutant
    Harry C. Butcher *1902
(Berlin/Paris)
    Gestern bin ich von Berlin zurückgekehrt. Als wir auf dem Flugplatz Orly landeten, herrschte strahlender Sonnenschein, in meinem Innern aber Finsternis, und ich hatte mich zunächst 18 Stunden ins Bett gelegt. Da unsere Reise nach Berlin in einer so kurzen Frist vonstatten gehen mußte, hatte das SHAEF nicht die Genehmigung einholen können, unsere Sender in die russische Zone zu bringen, und so mußten wir schweren Herzens die zwei «C-47» zurücklassen; es blieb nichts anderes übrig, als unsere Korrespondenten per Flugzeug nach Paris zurückzuschicken, wo sie ihre Berichte zensurieren lassen und bereithalten können, damit sie dann sofort in die Welt hinausgeschickt werden, wenn endlich die Genehmigung der drei Regierungen erteilt ist. Für die westlichen Alliierten sollte Luftmarschall Tedder unterzeichnen und General Tooey Spaatz und General de Lattre de Tassigny als Zeugen fungieren; die Herren hatten ein zahlreiches Gefolge, darunter die Generalmajore Ken Strong und «Pinky» Bull. Die deutsche Delegation von Reims – Jodl, Friedeburg und Gefolge – flogen mit uns in einer «C-47» um 8 Uhr 45 vom Flugplatz Reims ab. [...]
    Wir waren pünktlich zur festgesetzten Stunde angekommen – nach britischer Sommerzeit, also eine Stunde vor der für die Russen maßgebenden mitteleuropäischen Zeit. [...]
    Wir schlenderten im Vorgarten umher, betrachteten die Russen in ihren einfachen praktischen Uniformen mit den enggeschnallten Gürteln und den schwarzen Stiefeln. An der Ecke uns gegenüber stand ein russisches Mädchen und musterte ruhig diese seltsamen Wesen aus der westlichen Welt; sie war groß und schön – dennoch schienen sich die russischen Soldaten nicht um sie zu kümmern, wir interessierten sie offensichtlich viel mehr, denn sie gingen ständig das Trottoir hinauf und hinunter, wir hatten reichlich zu tun, ihre Ehrenbezeugungen zu erwidern.
    Tedder ging fort und stattete Schukow einen offiziellen Besuch ab, wobei Höflichkeiten ausgetauscht wurden. Die Unterzeichnung sollte in zwei Stunden stattfinden, wurde aber verschoben. In der Zwischenzeit überreichten Tex Lee und Jim Gault dem russischen Marschall im Namen General Eisenhowers das Wappenschild des SHAEF.
    Dann mußten wir wieder endlos warten; viele von uns, besonders die Fliegeroffiziere Tedder und Spaatz, wollten die Bombenschäden im Stadtinnern besichtigen, doch die Russen erklärten, daß solch ein Ausflug längere Vorbereitungen erfordere, da in den Straßen Posten aufgestellt werden müßten; sie, die Russen, möchten keinen Mißklang in die Zeremonie bringen lassen, indem distinguierte Gäste aus dem Hinterhalt erschossen würden, zudem lägen noch vielerorts Bomben mit Zeitzündern. Tatsächlich konnten wir auch aus der Ferne Detonationen vernehmen.
    In der Villa
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