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Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge

Titel: Das Echo der Lüge - Miller, S: Echo der Lüge
Autoren: Sophie Miller
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vorliebnehmen«, sagte sie. »Hinten haben wir einen Wasserrohrbruch.«
    In Saanen war mir aufgefallen, dass alte Schweizerinnen oft schlank, ja hager wirkten. Lisbeth Zuermatt jedoch war schwer, auf ihrem Busen prangte eine auffällige Kette, geschliffener Lapislazuli. Sie trug das graue Haar gescheitelt, mit Spangen hinters Ohr gesteckt, und hatte ein meergrünes Kleid an. Sie unternahm nichts, mir den Anfang leichter zu machen, wartete nicht ab, ob ich lieber im Sessel oder auf der Bank Platz nehmen wollte, und beanspruchte die Lederbank für sich.
    »Setzen Sie sich doch.« Ihr Gesicht strahlte Wachsamkeit aus. Ich erkannte Pascals Nase an ihr, auch das Kinn.
    Es schien mir unsinnig, weiter die Form zu wahren. Sie war seine Mutter, sie hatte ihn geliebt, ich liebte Pascal, wir waren beide traurig, dass er sich von uns entfernt hatte. »Pascal hat viel von Ihnen erzählt«, sagte ich und spürte sofort, es war die falsche Einleitung.
    »Ich habe Sie mir kleiner vorgestellt«, sagte Frau Zuermatt. »Pascal hatte eine Vorliebe für kleine Frauen, blonde meistens.«
    Sie legte es darauf an, mich als eine von vielen Freundinnen ihres Sohnes hinzustellen. Dabei musste sie wissen, dass er sich damals von Jessica endgültig getrennt hatte, um mit mir zusammen zu sein. Ich hatte mich nicht in seine Ehe gedrängt, trug keine Schuld, ich war von ihm gebeten worden, mein Leben mit ihm zu teilen. Die Sache mit Jessica sei abgeschlossen, hatte er erklärt, ihnen sei es sogar gelungen, sich wie alte Freunde zu trennen. In meiner kleinen Wohnung in Toronto war Pascal auf die Knie gesunken und hatte mich gebeten, seine Frau zu werden. Als ich vor Staunen nicht gleich antwortete, hatte er gesagt, ihm sei der Altersunterschied bewusst, er werde alles tun, sich in Schuss zu halten. Darauf mussten wir lachen, ich hatte ihn gebeten aufzustehen. Der Brillantring, den er formlos aus dem Etui nahm, wurde nie mein Lieblingsring. Erst ein Jahr später schenkte Pascal mir einen schlichten, fein gearbeiteten Goldring, den ich seitdem nicht wieder abgenommen habe. Nachdem ich meine Scheu vor dem großen, dem entscheidenden Lebensschritt verloren hatte, war mir die Heirat mit Pascal einfach und richtig erschienen. Alles war an seiner Seite einfach gewesen; jetzt, ohne ihn, hörte das Einfache auf, die Dinge wurden falsch und kompliziert. Aug in Aug mit seiner Mutter kam ich mir plötzlich wie eine Ehebrecherin vor. Für seine Familie musste ich wie ein Eindringling wirken, das wurde mir so deutlich wie das penetrante Ticken der Uhr. Wie stand seine Mutter zu Pascals Scheidung? Wo war Jessica heute, was hatte sie in den drei Jahren gemacht, die Pascal und ich zusammen gewesen waren? Hatte sie ihn gehasst, mich gehasst, hatte Pascals Familie ihr den Rücken gestärkt? Pascal hatte mir immer nur ausweichende Antworten gegeben. Würde man mir hier mehr erzählen?
    Lisbeth Zuermatt musterte meine Frisur. Ich hatte den Kurzhaarschnitt seit jener Nacht in Rio nicht erneuert. Pascal liebte diese etwas zu jugendliche Frisur. Ich hatte meinen Mann verloren, die Jugend war vorbei.
    »Nun, Antonia«, sagte Frau Zuermatt.
    »Meine Freunde sagen Tony zu mir.«
    »Ich bin sicher, dass sie das tun.« Die Herablassung lag nicht in ihrem Ton, nur in der Wortwahl. »Warum erzählen Sie nicht ein wenig von sich?«
    Ich hätte ihr Angebot gern für Interesse gehalten, doch es war ihre Art, mich auf Distanz zu halten. Indem ich von meinen deutschen Eltern erzählte, unserem Leben in Kanada, der Krankheit meines Vaters, den Schwierigkeiten, in die seine Firma geschlittert war, indem ich das preisgab, öffnete ich mich, während Frau Zuermatt ihr Haus, ihre Geschichte, ihr Gefühl vor mir verschlossen hielt.
    Ich hatte früher nie darüber nachgedacht, was nach Pascals Tod sein würde. Er war Ende vierzig gewesen – wer denkt da an Tod und Testament? Ich hatte nie von ihm versorgt werden wollen und meinen Lebensunterhalt immer selbst bestritten. Seit dem Tag, als wir uns kennenlernten, war Pascal großzügig gewesen, ohne mir das Gefühl zu geben, ich sei abhängig von ihm. Sein Reichtum hatte kaum Bedeutung für mich gehabt, jetzt aber, im Vorzimmer seines Elternhauses, bekam es Wichtigkeit. Ich saß seiner Mutter gegenüber und spürte, darum würde es gehen, vor allem darum, ob ich vorhatte, Ansprüche zu stellen.
    »Pascal ist tot«, sagte Lisbeth Zuermatt, nachdem ich nichts mehr zu erzählen wusste. »Wir müssen uns damit abfinden und weiterleben. Alles
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