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Das dunkle Erbe

Das dunkle Erbe

Titel: Das dunkle Erbe
Autoren: Thomas Kastura
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sie es getan, bevor sie starb?«
    »Ich denke schon.«
     
    PHOTINI KAM nicht an der Empfangstheke vorbei. Der Zerberus war mit furchteinflößenden Zähnen bewaffnet und rollte böse die Augen, den Schlund des Hades bewachend. So stand es bei Homer. Angeblich ließ er sich mit Honigkuchen besänftigen. In der Mythologie waren solche Dinge kinderleicht.
    »Warum geben Sie mir nicht einfach die Schlüssel?«, sagte Photini.
    Frau Rosinsky blieb hart. »Die Polizei hat doch schon Doktor Schwans Praxis auf den Kopf gestellt. Wollen Sie, dass die Leute noch mehr reden?«
    »Aber Dr. Barth –«
    » Von Barth!«
    »Ihre Chefin«, setzte Photini erneut an, »ist verschwunden. Nachdem zwei Morde verübt wurden.«
    »Ihre Kollegen haben überall herumgeschnüffelt. Auch in den Räumen der Frau Doktor.«
    »Vielleicht haben sie etwas übersehen. Wollen Sie mich an der Sicherstellung von Beweismitteln hindern?« Ein kleiner Bluff.
    »Für Ihr Alter spielen Sie sich ganz schön auf.«
    Manche Leute tragen ihre Macken jahrzehntelang mit sich herum. Irgendwann gehen sie auf die sechzig zu, haben diverse Zahnüberkronungen, Anti-Aging-Kuren und Kernspintomographien an sich vornehmen lassen, aber an dem Umstand, dass sie selbstherrliche Ekel sind, ändern sie nichts.
    »Auch ich habe einen Chef, Frau Rosinsky. Und der möchte, dass ich alles noch mal in Augenschein nehme.«
    »Wo ist Ihr Durchsuchungsbefehl?«
    Die alte Sekretärin war im Recht. Eva von Barth stand nicht unter Tatverdacht. Die Polizei durfte bei ihr nicht nach Belieben ein und aus gehen, selbst wenn sie ein mutmaßliches Mordopfer war. Ohne zwingende Hinweise, dass die Durchsuchung zum Auffinden bestimmter Beweismittel führen wird, war Photini auf Kooperation angewiesen. Eine bloße Vermutung wie bei Bernhard Schwan reichte nicht.
    Sie betrachtete die Stuckdecke des hohen Raumes, von dem zwei Gänge zu den Sprech- und Behandlungszimmern abgingen. Die Jugendstilvilla wirkte bestimmt beruhigend auf die Patienten. Man hatte nicht den Eindruck, zum Arzt zu gehen, sondern fühlte sich wie bei einer Einladung zum Nachmittagstee. Auf dem Boden lagen schwere Teppiche. Photini kam sich mit ihrem schwarzen Lederjackett deplatziert vor, doch nur für einen Augenblick.
    »Gibt es einen Hausmeister, der mir weiterhelfen kann?«
    »Herr Hornung kommt normalerweise nur zweimal die Woche. Sie müssen mit mir vorliebnehmen.« Ein ironisches Lächeln. »Doktor Schwan hat die Arzthelferinnen nach Hause geschickt. Ich halte hier allein die Stellung und vertröste die Patienten.«
    »Wie oft sind Sie hier?«
    »An jedem Werktag. Die Sprechzeiten sind von acht bis zwölf am Morgen und von vierzehn bis siebzehn Uhr am Nachmittag. Dienstag- und Donnerstagnachmittag macht Doktor Schwan seine Hausbesuche. Am Freitag schließen wir schon um zwölf Uhr mittags.« Bevor Photini etwas erwidern konnte, fuhr sie fort. »Seit dieser Zeit habe ich Doktor von Barth nicht mehr gesehen. Sie würde nicht längere Zeit wegbleiben, ohne es zu sagen.«
    »Was macht sie am Wochenende? Unternimmt sie mal einen Ausflug, besucht sie Verwandte?«
    »Die Frau Doktor lebt zurückgezogen. Sie kennt nur ihren Beruf.«
    Photini warf einen Blick auf die Notizen, die sie von Höttges erhalten hatte. Ihr Kollege besaß eine feine, gestochene Handschrift, die sie dem Dicken gar nicht zugetraut hätte. »Am Freitagnachmittag sind beide meistens noch allein in der Praxis und erledigen ihren Papierkram.«
    »Schrecklich, was mit Doktor Schwans Frau passiert ist«, sagte die Sekretärin. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass er irgendetwas damit zu tun hat. Zu Doktor von Barth hatte er immer ein gutes Verhältnis. Auf rein geschäftlicher Ebene, versteht sich.« Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu, als hielte sie das Gespräch für beendet.
    Photini stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser über die Empfangstheke sehen zu können. Sitzunterlage auf dem Drehstuhl, Pfefferminzbonbons in Griffweite, eine kleine chinesische Teekanne. Frau Rosinsky hatte sich an ihrem Arbeitsplatz häuslich eingerichtet. Neben der Tastatur stand eine Fotografie in Passbildgröße, mit einem dünnen Goldrahmen. Sie zeigte eine junge, lebhafte Frau Anfang zwanzig. Ein schrillgemustertes Rüschenkleid und die Frisur deuteten auf die siebziger Jahre hin. Der Mann an ihrer Seite wirkte ernst und ganz mit seiner respektablen, etwas unzeitgemäßen Erscheinung beschäftigt: Bürstenhaarschnitt, irgendwelche Abzeichen am Revers. Das Mädchen
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