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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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weinte dann entweder oder wurde ganz still, ich meine richtig still, so daß man einen Luftballon an ihrem Ohr hätte platzen lassen können, und sie hätte nicht reagiert. Aber wenn sie so war, konnte ich wenigstens den ganzen Tag in der Unterhose rumlaufen oder mit gar nix an, ohne daß es sie störte. Und Dad auch nicht.
    Dann verschwand Madge, meine beste Freundin. Und plötzlich sah alles ganz anders aus.
    Ich war zum Spielen zu ihr gegangen. Mam war mitgekommen. Sie hatte eine ihrer guten Phasen, und obwohl die meisten Leute dachten, Jenny wäre in eins der Löcher im Neb gefallen, waren unsere Mütter immer noch ein bißchen vorsichtig und ließen uns nicht allzu weit alleine gehen.
    Der Stang-Hof, wo Mr. Telford seine Tischlerei hatte, lag genau am Dorfrand. Obwohl es ein brüllend heißer Tag war, kam wie immer Rauch aus dem Schornstein von der Werkstatt, obwohl ich niemanden da drin arbeiten sah. Wir gingen zum Haus, und Mrs. Telford sagte zu meiner Mam: »Kommst du rein und trinkst eine Tasse Tee, Lizzie? Betsy, Madge ist unten im Garten und sucht nach Erdbeeren, aber ich glaube, die Schnecken haben den letzten Rest aufgefressen.«
    Ich ging durch die Milchkammer in den langen schmalen Garten, der ein Stück den Berghang raufreichte. Ich dachte einen kurzen Moment lang, ich sehe dort oben jemand, aber es war vermutlich nur Benny Lightfoot. Ich konnte Madge im Garten nicht finden, aber in der Mitte waren ein paar große Johannisbeersträucher und ich dachte, sie ist bestimmt dahinter. Ich rief nach ihr und ging dann zu den Sträuchern.
    Sie war nicht da. Auf der Wiese neben den Beeten lag eine angebissene Erdbeere. Sonst nix.
    Ich fühlte mich irgendwie schuldig, so als ob sie da gewesen wäre, wenn ich sie nicht hier draußen gesucht hätte. Ich ging nicht gleich wieder rein und erzählte es Mam und Mrs. Telford. Ich setzte mich auf die Wiese und tat so, als ob ich auf sie warte, obwohl ich wußte, daß sie nie mehr wiederkommt. Ich weiß nicht, wieso ich das wußte, aber es war so. Und sie kam nicht mehr wieder.
    Wenn ich sofort zu ihnen gerannt wäre, wären sie bestimmt losgelaufen und hätten ihn vielleicht gefaßt. Aber wahrscheinlich nicht, und Weinen hat keinen Sinn. Einen
ihn
gab es jetzt, daran zweifelte niemand mehr.
    Von da an waren immer und überall Polizisten. Wir hatten unseren eigenen Bobby im Dorf. Er hieß Clark, und jeder nannte ihn Nobby the Bobby. Er war ein großer, finster aussehender Mann, und wir dachten alle, er wäre wirklich wichtig, bis wir sahen, wie die Neuen ihn behandelten, besonders dieser echte Fettbrocken, der das Kommando über die hatte, die keine Uniform trugen.
    Sie quartierten sich in der Gemeindehalle ein. Mr. Wulfstan regte sich sehr darüber auf, als er das erfuhr. Manche Leute meinten, nach allem, was passiert war, hätte er da unrecht; andere sagten, er hätte sehr wohl recht, denn wir wollten zwar alle, daß dieser Verrückte gefaßt wird, nur hieße das noch lange nicht, daß die Polizei bei uns überall rumschnüffeln könnte.
    Der Grund, weshalb Mr. Wulfstan sich aufregte, war wegen dem Konzert. Seine Firma war Sponsor vom Mid-Yorkshire Dales Sommer-Musikfestival und er Vorsitzender vom Komitee. Das Festival findet hauptsächlich in Danby statt. Ich glaube, da hatte er auch Tante Chloe kennengelernt. Sie mochte diese Art von Musik und ging oft nach Danby rüber. Wie sie dann nach der Heirat Heck erbte, hatte er die Idee, eins der Konzerte in Dendale stattfinden zu lassen. Es fanden überall welche statt, bloß bei uns nicht, weil so wenig Menschen in unserm Tal lebten und die Zufahrtsstraße nicht so gut war. Der Gemeinderat hatte deswegen im Jahr davor eine öffentliche Versammlung abgehalten. Einige Leute, so wie mein Dad, meinten, ihnen wäre diese Musik piepegal, und warum sollte man Menschen in das Tal locken, wo doch in einem Jahr sowieso alles voll Wasser wäre? Darüber waren viele Leute böse (wie ich hörte), weil damals noch gar nicht alles feststand und sie immer noch Hoffnung hatten, daß Mr. Pontifex sich weigern würde zu verkaufen. Wobei das auch keinen Unterschied gemacht hätte, außer daß es alles ein bißchen rausgezögert hätte. Aber sie stimmten für das Konzert, vor allem nachdem Mr. Wulfstan sagte, er würde auch gern den Schulchor singen lassen.
    Im Jahr davor hatten wir also unser erstes Konzert gehabt. Der Solosänger kam aus Norwegen, obwohl er so gut Englisch sprach, daß man das nicht gemerkt hätte, hätte er nicht
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