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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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immer, Bonnie würde mich wecken, wie er maunzend auf meinem Kopfkissen sitzt, und das ganze Bettzeug wäre naß, und das Bett würde schon fast im Wasser schwimmen, das durchs Fenster reinläuft. Ich wußte immer, daß es bloß ein Traum ist, aber ich hatte trotzdem Angst. Dad meinte, ich solle mich nicht so anstellen, und Mam sagte, wenn ich wüßte, daß ein Traum nur ein Traum ist, sollte ich versuchen, mich selbst zu wecken, und manchmal klappte das auch, nur daß ich nicht richtig wach wurde und das Wasser immer noch da war und jetzt über mein Gesicht schwappte, und dann bin ich richtig aufgewacht und hab geschrien.
    Als Mam merkte, was mich bedrückte, versuchte sie, mir alles zu erklären. Sie konnte gut Sachen erklären, wenn sie nicht gerade schlecht drauf war. Die Nerven, wie ich Mrs. Telford eines Tags hab sagen hören, als ich mit Madge draußen vor dem Fenster der Tischlerei auf dem Stang-Hof spielte. Es war auch Mrs. Telford, die ich irgendwann mal sagen hörte, wie schade es doch wäre, daß Jack Allgood (das ist Dad) keinen Sohn hat, aber es würde ja auch keinem helfen, wenn Lizzie (das ist Mam) dem Mädchen die Haare so kurz wie einem Jungen schneidet und ihr Hosen anzieht. Das war ich. Da hab ich in den Spiegel geguckt und mir überlegt, ob ich nicht vielleicht ein Junge werden könnte, wenn ich groß bin.
    Ich hab grad gesagt, daß Mam Sachen erklären konnte. Sie erzählte mir von dem Stausee und daß wir alle nach Danby umgesiedelt würden und daß es eigentlich keinen großen Unterschied macht, weil Dad ein so guter Pächter wäre, daß Mr. Pontifex ihm den ersten Hof versprochen hat, der auf seinem Land frei wird.
    Da ließen die Alpträume ein bißchen nach. Die Vorstellung umzuziehen war eher aufregend als beängstigend, bis auf diesen einäugigen Lehrer mit seinem zersplitterten Rohrstock. Außerdem war das Wetter viel zu schön geworden, als daß Kinder sich um irgendwas in der Zukunft Sorgen machten. Und schon gar nicht um zuviel Wasser!
    Der Sommer war lang und heiß, also ich meine: richtig lang und richtig heiß, und nicht nur daß ein paar Kinder sich an ein paar sonnige Tage erinnern, die endlos scheinen.
    Der Winter war trocken gewesen, und der Frühling auch, abgesehen von ein paar Schauern. Danach nix mehr. Jeder Tag war heißer als der vorige. Selbst oben auf Beulah Height konnte man keinen Windhauch spüren, und unten im Tal ließen wir alle Fenster in den Häusern und in der Schule weit offen, aber da kam nix außer dem fernen Radau der Baumaschinen von Dale End.
    Freitagmorgens kam immer Reverend Disjohn in die Schule, um uns von der Bibel und so Sachen zu erzählen. Eines Freitags las er uns die Geschichte von Noah und der Flut vor und sagte, so schlimm es den Leuten damals auch erschienen sein mochte, daß sich trotzdem alles zum Guten gewendet hätte. »Auch für die, die ertrunken sind?« rief Joss Puddle dazwischen, dessen Vater »Holly Bush«, unser Pub, gehörte. Miss Lavery ermahnte ihn, nicht frech zu sein, aber Reverend Disjohn meinte, das wäre eine gute Frage und wir müßten bedenken, daß Gott die große Flut geschickt hätte, um die Menschen für ihre sündigen Taten zu bestrafen. Der Reverend wollte damit sagen, daß Gott für alles einen Grund hätte, und vielleicht wäre all diese Aufregung um den Stausee Gottes Fingerzeig, uns daran zu erinnern, wie wichtig Wasser wirklich war und daß wir keine seiner Gaben wie selbstverständlich hinnehmen sollten.
    Wenn du sieben bist, weißt du nicht, daß Pfarrer ganz schön Blödsinn reden können. Wenn du bald vierzehn wirst, weißt du das aber schon.
    Ganz allmählich, Tag für Tag, sank der Wasserspiegel des Sees. Sogar White Mare’s Tail ging zurück, bis aus dem üppigen Schimmelschweif sozusagen ein Mäuseschwänzchen wurde. Der White Mare’s Tail, falls Sie’s nicht wissen, ist der Fluß, der wie ein Wasserfall oben aus dem Berg kommt, knapp unterhalb von Lang Neb. Das ist der steile Berg zwischen uns und Danby. Auf der Landkarte heißt er immer Long Denderside, aber jeder hier nennt ihn nur Lang Neb, denn wenn man den Kopf schräg hält, sieht er aus wie eine lange Nase, weil er erst allmählich ansteigt und dann plötzlich zum Black-Moss-Sattel am Rand vom Highcross Moor abfällt. Auf der anderen Seite steigt er etwas sanfter wieder an, zur Beulah Height oberhalb von unserem Hof. Das sind zwei kleine Anhöhen, und weil sie ein bißchen wie ein Mund aussehen, nennen manche Leute sie The Gob, die
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