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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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Arne Krog geheißen. Er war ein Freund von Mr. Wulfstan und übernachtete auf Heck, zusammen mit der Dame, die ihn auf dem Klavier begleitete. Inger Sandel hieß sie. Arne (jeder nannte ihn Arne) war sehr beliebt, vor allem bei den Mädchen, weil er so groß und blond und gutaussehend war. Die Sachen, die er sang, waren hauptsächlich ausländisch, was nicht jedem gefiel. Er wollte in dem Jahr wiederkommen und war richtig enttäuscht, als es so aussah, daß vielleicht kein Konzert stattfindet. Ich auch. Ich war im Schulchor und hätte in dem Jahr ein Solo singen dürfen.
    Und die meisten Leute im Tal waren genauso enttäuscht. Das Konzert sollte kurz vor dem großen Umzug stattfinden, und im Jahr danach würde es keinen Gemeindesaal und kein Tal mehr für einen Auftritt geben.
    Dann hörten wir, daß Mr. Wulfstan Reverend Disjohn überredet hatte, das Konzert statt dessen in St. Luke’s stattfinden zu lassen, und es war, als ob wir eine Schlacht gewonnen hätten.
    Aber all das lenkte uns nicht von Madges Verschwinden ab. Immer, wenn man einen Polizisten sah, und man konnte jeden Tag einen sehen, kam alles wieder hoch. Alle Kinder, die Madge gekannt hatten, wurden von einer Polizistin befragt, und ich am meisten, wo ich doch ihre beste Freundin gewesen war. Sie war sehr nett, und es machte mir nix aus, mit ihr zu reden. Es war auf jeden Fall besser, als die Fragen zu beantworten, die Mr. Telford ständig stellte. Ich mochte Mrs. Telford sehr gern, und Madges Onkel George, der Bruder von ihrem Dad, der mit ihm zusammen in der Tischlerei arbeitete, der war auch in Ordnung. Aber Mr. Telford machte mir ein bißchen angst, vielleicht, weil er für das Tal die Särge schreinerte und bei jeder Beerdigung einen schwarzen Anzug trug. Madge war, wie ich, die einzige Tochter, mit dem Unterschied, daß ich für meinen Vater meistens Luft war, während Madge für Mr. Telford wie eine Göttin oder Prinzessin oder so war. Nicht, daß er nie mit ihr geschimpft hätte, aber das war bloß, weil er sich so große Sorgen um sie machte. Wenn sie zum Beispiel spät nach Hause kam, und wenn es nach der Schule nur zehn Minuten waren, sagte er ihr, er würde sie zu den Särgen sperren, bis sie gehorchen würde. Ich glaube nicht, daß es Madge etwas ausgemacht hätte. Manchmal schlichen wir uns heimlich in den alten Stall, wo er die Särge aufbewahrte, und spielten dazwischen herum oder kletterten manchmal sogar rein. Ich will damit nicht sagen, daß es mir da drin besonders gefallen hätte, aber es wäre besser gewesen als Hiebe mit dem Gürtel. Jedenfalls hat er es nie getan. Wenn er seinen Sonnenschein wiederhatte, gab er normalerweise jemand anderem die Schuld, mir zum Beispiel, weil ich Madge angeblich aufgehalten hätte. Und nun war er die ganze Zeit hinter mir her, wahrscheinlich, weil er jemand brauchte, dem er die Schuld geben konnte. Aber ich glaube, die meiste Schuld gab er sich selbst. »Alles wär anders, wenn sie bloß zurückkommen würde«, sagte er immer. »Dann würd ich sie nie mehr aus den Augen lassen.«
    Aber ich glaube, er wußte genau wie ich, daß sie nie mehr zurückkommen würde.
    Die Polizistin fragte mich alles mögliche, zum Beispiel, ob Madge je was von einem Mann erzählt hätte, der sie belästigt hat? Und wie sie sich mit ihrem Vater und Onkel George verstehen würde. Und ich sagte nein, und gut. Dann fragte sie nach dem Nachmittag, wo sie verschwunden ist, und ob ich irgend jemand in der Nähe vom Haus gesehen hätte, als ich im Garten nach Madge suchte. Und ich sagte nein. Und sie fragte, auch nicht Benny Lightfoot? Und ich sagte, ja doch, ich glaube, ich hab Benny ein Stück weiter oben am Berg gesehen, aber auf Benny achtet doch niemand. Und da fragte sie mich dann nach dem Mal, an dem wir im Wasser gespielt hatten und Jenny verschwunden war, ob ich Benny an dem Tag auch gesehen hätte. Und ich sagte ja, ich glaube schon. Und sie fragte, warum ich das damals nicht gesagt hätte, und ich erklärte, daß ich nicht gedacht hatte, daß es wichtig war, wenn man Benny gesehen hat.
    Niemand im Tal traute Benny Lightfoot damals was Böses zu, und es wurde geradezu als Schande betrachtet, als der Polizeiwagen den Pfad zu Neb Cottage raufrumpelte, direkt unterhalb vom Neb, wo er mit seiner Oma wohnte. Nobby Clark erklärte, der Fettbrocken ohne Uniform hätte ihn ständig gelöchert, ob hier in der Gegend einer wohnen würde, der ein bißchen seltsam ist. »Ich hab ihm gesagt, ich kenne kaum jemand, der
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