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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder
Autoren: Reginald Hill
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Schnauze, passend zur Nase. Aber Mrs. Winter sagte immer, wir sollten das alles nicht so ordinär benennen, wo die richtigen Namen doch so schön wären, und sie las uns ein bißchen aus diesem Buch vor, in dem Beulah vorkommt. Joss Puddle meinte, es wäre stinklangweilig und er fände, Schnauze wäre ein viel besserer Name. Aber mir gefiel Beulah, weil unser Hof auch so hieß und der Berg irgendwie zu uns gehörte, wo mein Vater doch die Weiderechte da oben für seine Schafe hatte, und er hielt den steinernen Pferch zwischen den Hügeln immer in Ordnung. Der Pferch war wahrscheinlich sogar älter als unser Haupthaus, sagte Miss Lavery.
    Jedenfalls konnte keiner leugnen, daß unsere Seite vom Tal viel schöner war als die Seite am Lang Neb, wo es richtig steil war mit Felsblöcken und Vorsprüngen überall. Und in der Regenzeit, wenn an allen Berghängen kleine Bäche und Wasserfälle rieselten, spritzte am Neb das Wasser einfach so aus den Felsen, wie Regen aus einer verstopften Rinne. Der alte Tory Simkin behauptete immer, im Neb seien so viele Höhlen drin, daß er mehr aus Wasser als aus Stein bestehen würde. Und er erzählte Geschichten von Kindern, die in der Sonne auf dem Neb eingeschlafen waren und von Wassergeistern und so was verschleppt und nie wiedergesehen wurden.
    Aber er hörte mit diesen Geschichten auf, als es dann wirklich passierte. Daß Kinder verschwanden, meine ich.
    Jenny Hardcastle war die erste. Die Ferien hatten gerade angefangen, und wir planschten alle im Wintle Pool herum, dem Auffangbecken von unserem Wasserfall. Meistens wurden die Kleinen ausgeschimpft, wenn sie da oben spielten, aber jetzt war der große Teich so flach, daß selbst den Kleinsten nix passieren konnte.
    Später haben sie uns gefragt, wann genau Jenny wegging, aber spielende Kinder an einem Sommertag achten nicht auf die Zeit. Und sie haben gefragt, ob wir da herum jemanden gesehen hätten, der uns beobachtet oder so was. Aber niemand hatte was gesehen. Ich hatte Benny Lightfoot ein Stück den Berg hinauf gesehen, aber ich hab genausowenig davon erzählt, wie ich von einem Schaf erzählt hätte. Benny war wie ein Schaf, er gehörte zum Berg, und wenn man ihm nahe kam, lief er meistens weg. Also hab ich nix von ihm gesagt, sondern erst später, als sie speziell nach ihm fragten.
    Meine Freundin Madge Telford sagte, Jenny hätte ihr erzählt, daß sie es satt hätte, den ganzen Tag wie die Babys im Wasser rumzuplanschen, und daß sie zum Wintle Wood gehen würde, um ein paar Blumen für ihre Mam zu pflücken. Aber Madge meinte, daß sie eigentlich nur eingeschnappt war, weil sie immer gern im Mittelpunkt stand, und seit Mary Wulfstan aufgetaucht war, hatten wir alle viel Wind um sie gemacht.
    Mary mußte man einfach gern haben. Nicht nur, weil sie hübsch war, und das war sie wirklich mit ihren langen blonden Haaren und dem süßen Lächeln. Aber sie war auch nicht hübscher als Jenny oder sogar Madge, die von allen die blondesten Haare hatte, so wie das Wasser im See, wenn die Sonne ganz flach draufscheint. Aber Mary war eben so nett, daß man sie einfach gern haben mußte, auch wenn wir sie bloß in den Ferien und hin und wieder am Wochenende sahen.
    Sie war irgendwie mit mir verwandt, weil ihre Mam nämlich aus unserem Tal stammte und keine Neue war, obwohl sie Heck bloß noch als Ferienhaus benutzten. Marys Opa war der Cousin von meinem Opa gewesen, Arthur Allgood, dem der Heck-Hof gehörte, wo das Haupthaus direkt am Seeufer stand, am unteren Ende vom Dorf. Marys Mutter war Arthurs einziges Kind gewesen, und ich nehme mal an, ebenso »nur ein Mädchen« wie ich. Aber wenigstens konnte sie sich auf dem Hof nützlich machen, indem sie heiratete. Das Zweitbeste nach einem Bauernsohn ist nämlich ein Bauern-Schwiegersohn – das heißt, wenn einem ein Hof gehört. Arthur Allgood gehörte Heck, aber mein Vater war auf Low Beulah nur Pächter, und während ein Sohn die Pacht erben konnte, hatte eine Tochter gar keine Rechte.
    Nicht, daß Marys Mutter, Tante Chloe (sie war nicht wirklich meine Tante, aber ich nannte sie so), einen Bauern heiratete. Sie heiratete Mr. Wulfstan, der sein eigenes Geschäft besaß, und deswegen verkauften sie das meiste an Land und Gebäuden von Heck an Mr. Pontifex, behielten aber das Haupthaus für die Ferien.
    Mr. Wulfstan wurde im Tal respektiert, aber nicht besonders gemocht. Er war nicht gerade abweisend, wie meine Mam sagte, aber es war schwer, an ihn ranzukommen. Doch als er Heck
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