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Das Dekameron

Das Dekameron

Titel: Das Dekameron
Autoren: Giovanni Boccacio
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nämlich Griselda, und fragte sie, wo ihr Vater sei. Verschämt antwortete sie ihm: »Mein Gebieter, er ist im Hause.«
    Nun stieg Gualtieri vom Pferde, befahl jedermann, ihn zu erwarten, trat allein in die ärmliche Hütte, wo er ihren Vater fand, der Giannucole hieß, und sagte zu ihm: »Ich bin gekommen, um die Griselda zu freien. Zuvor will ich jedoch in deiner Gegenwart sie über etwas fragen.« Und nun fragte er sie, ob sie, wenn er sie zur Frau nähme, immerdar bestrebt wäre, ihm zu Gefallen zu leben und sich über nichts, was er auch sagen und tun möchte, zu erzürnen, ob sie gehorsam wäre und viele ähnliche Dinge, welche sie sämtlich mit Ja beantwortete. Hierauf nahm Gualtieri sie bei der Hand, führte sie hinaus, ließ sie in Gegenwart seiner ganzen Begleitung und aller übrigen Personen sich nackt auskleiden und ihr dann die Kleider anlegen, die er für sie hatte machen lassen und die auf seinen Befehl herbeigebracht worden waren, ließ sie beschuhen und auf ihr Haar, so verworren es auch war, einen Kranz setzen. Dann aber sprach er, während sich noch alle über dieses Verfahren wunderten: »Ihr Herren, diese ist es, die nach meiner Absicht meine Frau werden soll, wofern sie mich zu ihrem Manne will.« Dann wandte er sich zu ihr, die zweifelnd und sich schämend dastand, und sagte: »Griselda, willst du mich zu deinem Manne?« Sie aber antwortete: »Ja, mein Gebieter.« »Und ich«, sprach er, »will dich zu meiner Frau.« Und so verlobte er sich mit ihr in aller Gegenwart. Dann hieß er sie ein Roß besteigen und führte sie ehrenvoll begleitet nach seinem Hause.
    Hier war die Hochzeit groß und prächtig und die Festlichkeiten nicht anders, als wenn er die Tochter des Königs von Frankreich heimgeführt hätte. Die Braut aber schien mit den Kleidern auch Gesinnung und Sitten gewechselt zu haben. Sie war, wie wir schon sagten, schön von Antlitz und Gestalt, und so schön sie war, so anmutig, gefällig und gesittet wurde sie nun, so daß man nicht mehr geglaubt hätte, sie sei die Tochter des Giannucole und eine Schafhirtin gewesen, sondern das Kind eines adeligen Herrn, wodurch sie denn einen jeden in Erstaunen versetzte, der sie vorher gekannt hatte.
    Dabei war sie ihrem Manne so gehorsam und so dienstbeflissen gegen ihn, daß er sich für den glücklichsten und zufriedensten Menschen auf der Welt hielt; gegen die Untertanen ihres Gemahls aber war sie so freundlich und wohlwollend, daß keiner darunter war, der sie nicht mehr als sich selbst geliebt und ihr mit Freuden Ehrfurcht bewiesen hätte. Alle beteten für ihr Wohl, ihr Glück und ihre Erhebung, und diejenigen, welche sonst häufig gesagt hatten, Gualtieri habe unverständig gehandelt, sie zur Frau zu nehmen, beteuerten nun, er sei der verständigste und scharfsinnigste Mann auf der Welt gewesen, weil kein anderer als er vermocht hätte, ihre hohe Tugend, versteckt unter ärmlichen Lumpen und bäuerischer Kleidung, zu erkennen. Und kurz, nicht nur in ihrer Markgrafschaft, sondern überall wurde, ehe eine lange Zeit verstrichen war, von ihrer Tugend und ihren guten Werken rühmend gesprochen, und alles, was man vielleicht gegen ihren Gemahl gesagt haben mochte, als er sie zur Braut erwählte, verwandelte sich in das Gegenteil.
    Nicht lange war sie mit Gualtieri vermählt, als sie guter Hoffnung ward und zur gebührenden Zeit eine Tochter gebar, über welche Gualtieri die größte Freude hatte. Bald darauf verfiel er jedoch auf den seltsamen Gedanken, durch langwierige Erfahrung und fast unerträgliche Proben ihre Geduld prüfen zu wollen. Zuerst fing er an, sie durch Worte zu kränken, indem er unwillig tat und sagte, seine Untertanen seien um ihrer niederen Geburt willen sehr unzufrieden mit ihr, am unzufriedensten aber, seit sie sähen, daß Griselda ihm Kinder bringe, wie sie denn über die Tochter, welche sie geboren, voller Mißvergnügen unablässig murrten.
    Als die Frau diese Worte vernahm, sprach sie, ohne den Ausdruck ihrer Züge oder ihre guten Vorsätze im mindesten zu ändern: »Mein Gebieter, tue mit mir, was deinem Glauben nach deiner Ehre und Ruhe am förderlichsten ist. Ich werde mit allem zufrieden sein, da ich erkenne, wieviel geringer ich bin als jene und wie wenig ich der Ehre würdig war, zu der du mich durch deine Güte erhoben hast.« Diese Antwort war dem Gualtieri sehr angenehm, da sie ihm zeigte, daß die Ehre, welche er oder andere ihr erwiesen, auch nicht den kleinsten Stolz in ihr erweckt hatte.
    Kurze Zeit
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