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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro
Autoren: J.J. Voskuil
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Brühe, die er nur mit Mühe hinunterbekommen konnte. Nicht gerade etwas, wonach man sich sehnen würde.
    „Wer hat die Karten eigentlich gemacht?“, fragte er, als de Bruin den Raum wieder verlassen hatte.
    Beerta saß mit der Tasse in der Hand da und ließ sie sanft kreisen, bevor er einen Schluck nahm. „Ein paar Studenten, unter meiner Anleitung.“ Er schnalzte mit den Lippen. „Einen von ihnen wirst du noch treffen. Der ist im Urlaub. Hein de Boer, ein Bauernsohn.“ Er sprach das letzte Wort sehr präzise aus, mit deutlicher Ironie. „Ein netter Junge, aber ein kleiner Schwerenöter.“
    Es war Maarten nicht klar, was er sich darunter vorstellen musste. „Und gibt es auch ein Beispiel, wie so ein Kommentar gemacht werden muss?“
    Beerta blickte ihn von der Seite an, mit hochgezogenen Augenbrauen. „Nein, dafür bist du ja gerade angestellt worden.“
     
    Um Punkt halb eins hörte Beerta auf zu tippen. Er hob die Schreibmaschine auf den Tisch, holte eine Serviette, einen kleinen Teller, ein Messer, eine Butterdose und ein Päckchen Schokoladenstreusel aus einer Schublade seines Schreibtisches, breitete die Serviette aus und machte es sich bequem. Das Brot kam aus einer Dose in seiner Aktentasche.
    „Wie lange haben wir eigentlich Mittagspause?“, fragte Maarten.
    „Eine Dreiviertelstunde“, antwortete Beerta.
    „Und darf ich die auch draußen verbringen?“
    „Die darfst du verbringen, wo du willst, wenn du nur rechtzeitig wieder da bist.“
    Er ging zur Amstel und aß sein Brot und den Apfel auf einer Bank am Wasser. Es war warm. Das Wasser glänzte in der Sonne. Auf der gegenüberliegenden Seite fuhr eine Straßenbahn vorbei. Das alles drang kaum zu ihm durch. Es war, als befände er sich in einem abgeschlossenen Raum, abgeschieden von der Außenwelt, nicht fähig auch nur zu einem einzigen vernünftigen Gedanken.
     
    Wiegel und Nijhuis standen hinter dem Bücherregal und redeten. Veerman war nicht da, sein Stuhl war zurückgeschoben, seine Tasche, eine alte Einkaufstasche, stand daneben. Sie beachteten ihn nicht. Wiegel erzählte einen gewagten Witz, Nijhuis lehnte am Regal und hörte träge zu. „Cherchez la femme“, schloss Wiegel. Nijhuis lächelte müde, während Wiegel sich Maarten zuwandte. Maarten lächelte ebenfalls, obwohl er den Witz nicht mitbekommen hatte. „Haben wir auch Literatur über die Wichtelmännchen?“, fragte er.
    Wiegel richtete sich etwas auf, führte die Hände zum Rücken und wippte auf den Zehen. „D-die W-wichtelmännchen“, sagte er mit erhobenem Kinn und sah Maarten dabei streng an. Er zwinkerte. Maarten lachte. Die Imitation war perfekt.
    „N-natürlich haben wir L-literatur über die Wichtelmännchen“, fuhr Wiegel fort. „Ich gehe mal eben mit dir mit“, sagte er dann in normalem Tonfall, „sie steht in Beertas Zimmer.“
    Beerta war beim Tippen und sah nicht einmal auf, als sie den Raum betraten und zum Bücherregal an der Rückwand gingen. Ohne einen Augenblick zu zögern zog Wiegel einen Band des
Handwörterbuchs des deutschen Aberglaubens
aus dem Regal, blätterte kurz darin und reichte ihn Maarten. „Fang erst einmal damit an, d-da bist du fürs Erste beschäftigt.“ Er stotterte erneut, doch dieses Mal war nicht klar, ob er es mit Absicht tat. Während er den Raum wieder verließ, setzte Maarten sich auf seinen Stuhl. Er betrachtete das Titelblatt, schlug die Stelle auf, die Wiegel ihm gezeigt hatte, schaute nach, wie viele Seiten der Artikel hatte, und begann zu lesen. Was er las, war neu für ihn und versetzte ihn in Staunen. Für den Autor oder die Autoren – denn der Aufsatz bestand aus einer großen Zahl von Abschnitten, jedes Mal mit einer langen Liste von Hinweisen auf weiterführende Literatur – waren Wichtelmännchen-Erzählungen keine Kindermärchen, wie er immer geglaubt hatte, sondern Erinnerungen an eine vorchristliche Vergangenheit, die bis auf den heutigen Tag mündlich von einer Generation zur nächsten überliefert worden waren. Über die Art der Erinnerungen schienen sie sich nicht einig zu sein. Manche sahen darin die Reste einer vorchristlichen Ahnenverehrung, andere suchten nach einem Volk kleiner, dunkler Menschen, die von unseren Vorfahren unterworfen oder in die entlegensten Winkel Europas vertrieben worden waren, wo sie sich, auf ungastliche Landstriche verteilt, möglicherweise bis auf den heutigen Tag hatten behaupten können. Er las es mit wachsendem Erstaunen und Unverständnis, behindert durch Vagheiten und
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