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Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name

Titel: Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
Autoren: Anonymus
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dahinzieht, bringt uns einen Schritt näher zum Ende der Welt, die wir kennen und lieben.«
    Kyle streckte die Hand nach der Wange des alten Mannes aus und wischte einen Blutspritzer ab.
    »Sorge dich nicht, Vater, wir werden keinen weiteren Augenblick verschwenden.« Trotzdem zögerte er einen Moment, bevor er fragte: »Und wo sollen wir unsere Suche beginnen?«
    »Am gleichen Ort wie immer, mein Sohn. In Santa Mondega. Dort wird das Auge des Mondes am meisten begehrt. Dort wollen alle immer nur das Auge.«
    »Aber wer sind ›alle‹, Vater? Wer hat dieses Auge? Wer hat all das getan? Nach wem – oder was – suchen wir?«
    Taos zögerte, bevor er antwortete. Sein Blick schweifte einmal mehr über das Gemetzel ringsum, und er dachte zurück an den Augenblick, als er seinem Angreifer gegenübergestanden hatte. Den Moment, bevor er niedergeschossen worden war.
    »Nach einem Mann, Kyle. Ihr sucht nach einem einzigen Mann. Ich kenne seinen Namen nicht, doch wenn ihr Santa Mondega erreicht, fragt herum. Fragt nach einem Mann, der nicht getötet werden kann. Fragt nach dem Mann, der imstande ist, dreißig oder vierzig andere eigenhändig zu töten, ohne auch nur einen einzigen Kratzer abzubekommen.«
    »Aber Vater, wenn es einen solchen Mann gibt, haben die Menschen dann nicht Angst, uns zu verraten, wer dieser Mann ist?«
    Taos verspürte ein flüchtiges Gefühl von Irritation, weil ihn der jüngere Mann infrage stellte, doch es war ein gutes Argument, das Kyle da vorgebracht hatte. Er dachte für einige Sekunden nach. Eine von Kyles Stärken war es, dass er, wenn er Dinge infrage stellte, dies wenigstens auf intelligente Weise tat. Diesmal war Taos sogar imstande, die Frage zu beantworten.
    »Ja, das haben sie, Kyle. Allerdings verkaufen in Santa Mondega die Leute ihre Seele für eine Handvoll grüner Scheine an die Dunkelheit.«
    »Grüne Scheine? Ich verstehe nicht, Vater.«
    »Geld, Kyle. Für Geld. Der Abschaum der Erde tut für Geld alles.«
    »Aber wir haben kein Geld, Vater, oder? Geld zu besitzen verstößt gegen die heiligen Gesetze von Hubal.«
    »Rein technisch betrachtet ist das richtig, mein Sohn«, sagte Taos. »Doch wir haben Geld hier. Wir benutzen es nur nicht. Bruder Samuel erwartet euch beim Hafen. Er wird euch einen Koffer voller Geld geben. Mehr Geld, als ein gewöhnlicher Sterblicher braucht. Ihr werdet dieses Geld sparsam einsetzen, um die Informationen zu erhalten, die ihr benötigt.«
    Eine Woge aus Müdigkeit, gepaart mit Kummer und Schmerz, erfasste ihn. Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht, bevor er fortfuhr. »Ohne Geld würdet ihr keinen halben Tag in Santa Mondega überleben. Also, was immer ihr tut, verliert es nicht. Seid auf der Hut und bleibt ständig wachsam. Wenn sich herumspricht, dass ihr Geld habt, werden die Menschen auf euch aufmerksam. Schlechte Menschen.«
    »Jawohl, Vater.«
    Kyle spürte, wie Aufregung ihn erfasste. Es würde sein erster Trip aufs Festland werden, seit er als kleines Kind auf der Insel eingetroffen war. Alle Mönche der Bruderschaft trafen als kleine Kinder ein, entweder als Waisen oder weil ihre Eltern sie verstoßen hatten, und eine Gelegenheit, die Insel zu verlassen, gab es vielleicht einmal im Leben, wenn überhaupt. Unglücklicherweise verdankte Kyle es auch seinem Lebens als Mönch, dass dem Anflug von Aufregung auf dem Fuß ein überwältigendes Gefühl von Schuld folgte. Schuld, weil er Aufregung verspürt hatte. Jetzt war nicht die Zeit für solche Gefühle, und die Insel war nicht der Ort.
    »Gibt es sonst noch etwas, Vater?«, fragte er.
    Vater Taos schüttelte den Kopf.
    »Nein, mein Sohn. Geht nun. Ihr habt drei Tage, um das Mondauge zu finden und die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Der Sand läuft unaufhaltsam durch das Stundenglas.«
    Kyle und Peto verneigten sich tief vor Vater Taos, wandten sich ab und gingen vorsichtig zum Ausgang des Tempels. Sie konnten es kaum erwarten, zurück an der frischen Luft zu sein. Der Gestank nach Tod im Innern des Tempels verursachte beiden Übelkeit.
    Was sie nicht wissen konnten – dieser Gestank würde ihnen nur allzu vertraut werden, sobald sie erst den Zufluchtsort ihrer Insel hinter sich gelassen hatten. Vater Taos wusste das. Während er ihnen hinterherblickte, wünschte er sich, er hätte den Mut aufgebracht, ihnen die Wahrheit über das zu erzählen, was in der Welt da draußen auf sie wartete. Er hatte schon einmal zwei junge Mönche nach Santa Mondega geschickt, vor fünf Jahren.
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