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Das Buch Ohne Gnade: Roman

Das Buch Ohne Gnade: Roman

Titel: Das Buch Ohne Gnade: Roman
Autoren: Anonymus , Michael Kubiak
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Pasadena.
    An den meisten Tagen dauerte das Schwätzchen der beiden Männer an die fünf Minuten. Pete war normalerweise immer freundlich und dankbar für ein zwangloses Gespräch, aber an Halloween hatte er es immer eilig mit seinen Lieferungen. Auf dem Devil’s Graveyard gab es nur zwei Lieferadressen – Sleepy Joe’s Diner und das Hotel Pasadena –, daher nahm Joe es Pete nicht übel, dass er an diesem Morgen gleich weiterfuhr, auch wenn er ein wenig enttäuscht war.
    Um Viertel vor neun hatte er den Imbiss offen und angeheizt und war bereit für die ersten Gäste. Entspannt und gelassen dem Tag ins Auge schauend, schenkte er sich den ersten Becher Kaffee ein und setzte sich an einen der runden Tische, um einen Blick in die Zeitungen zu werfen. In dem Imbiss standen nur acht Tische, jeder mit einer identischen rot-weiß karierten Tischdecke ausstaffiert. Für einen neuen Gast, der zum ersten Mal hereinkam, wäre es niemals offensichtlich gewesen, dass Joe der Inhaber war. Er trug jeden Tag dieselbe blaue Jeanslatzhose, die er nur einmal in der Woche wusch. Sein schütteres graues Haar versteckte sich jeden Tag unter einer fünfzehn Jahre alten roten Baseballmütze, bis auf ein paar Büschel, die an den Ohren drunter hervorschauten. Silbergraue Bartstoppeln glänzten wie winzige Stacheln in seinem schlaffen alten Gesicht, und er setzte immer eine Miene wie drei Tage Regenwetter auf, ganz gleich in welcher Stimmung er sich befand. Sogar als er noch ein junger Mann war, machte der Witz die Runde, dass er aussehe, als hätte ihn der Blitz getroffen, während er gerade an einem Wettkampf im Fratzenschneiden teilnahm.
    Die Schlagzeile der ersten Zeitung, die er zu sich heranzog, lautete: »Gesucht: tot oder lebendig – Belohnung $100 000.« Unter der klotzigen Überschrift befand sich ein körniges Foto von einem Videoband irgendeiner örtlichen Überwachungskamera, das einen ganz in Schwarz gekleideten Mann mit fettigem schulterlangem Haar und einer dunklen Sonnenbrille zeigte. Laut dem Artikel, der zu der Schlagzeile gehörte, hatte der Mann eine Reihe bewaffneter Raubüberfälle in einer Kleinstadt in der Nähe verübt. Dabei hatte er einige örtliche Polizeibeamte sowie ein paar unschuldige Mitbürger getötet. Die Anzahl der Toten betrug mehr als dreißig, aber die Polizei erwartete, während der nächsten Tage weitere Leichen zu finden. Der Artikel wagte sogar anzudeuten, dass der Täter der legendäre Bourbon Kid sein könnte. Jeder wusste über den Bourbon Kid Bescheid. Aber sie neigten auch dazu, ihn mit Bigfoot und dem Ungeheuer von Loch Ness in eine Schublade zu stecken.
    Joe las stillvergnügt die Zeitung und stellte sich dabei vor, wie es wohl wäre, wenn er die Belohnung für die Ergreifung des Bourbon Kid einheimsen würde. Würde er sich von dem Geld einen neuen Wagen kaufen? Oder vielleicht eine Urlaubsreise machen? Oder sogar in eine bessere Stadt umziehen? Die Antwort war ein entschiedenes Nein . Aber wie wäre es damit, ihn in den Rücken zu schießen, wenn sich die Gelegenheit ergab? Ja, das hatte was. Klar, es wäre feige, aber es geschähe im Interesse der Öffentlichkeit. Und die Öffentlichkeit wäre ihm auf ewig dankbar. Allein aus diesem Grund würde er, wenn er das Geld bekam, niemals in eine andere Stadt ziehen. Es wäre völliger Blödsinn, ein lokaler Held zu sein und nicht mitzukriegen, wie man gefeiert wurde.
    Er trank einen Schluck schwarzen Kaffees aus seinem angeschlagenen weißen Lieblingsbecher, als, genau aufs Stichwort, Jacko, sein alljährlicher Besucher, eintraf. Während er jeden Gedanken daran, ein lokaler Held zu werden, in den hintersten Winkel seines Bewusstseins verdrängte, machte Joe sich klar, dassder Besuch Jackos ungefähr das Aufregendste war, das in seinem Leben je geschah.
    Als der Neuankömmling hereinkam, klingelte die Glocke über der Tür leise und verkündete sein Eintreffen. Er war ein Schwarzer, Mitte bis Ende zwanzig. Und jedes Jahr kam er in den Imbiss, verkleidet als Michael Jackson wie damals in dem Thriller -Video. Bekleidet war er mit einer roten Lederjacke, einer dazu passenden roten Lederhose und einem blauen T-Shirt. Sein schwarzes Haar trug er kurz geschnitten und in einer betonfesten Dauerwelle.
    Jedes Jahr verbrachte Jacko den ganzen Tag im Imbiss, schwatzte mit Joe, trank Kaffee in rauen Mengen und hoffte, dass jemand ihn mit seinem Wagen zum Back-From-The-Dead -Gesangswettbewerb im Hotel Pasadena mitnahm. Jedes Jahr wartete er vergeblich.
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