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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels
Autoren: Matthias Horx
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sind!Kung-Frauen praktisch unfruchtbar). 8
    Müsste sie nicht genau so aussehen, die ideale nachhaltige Gesellschaft?
    Derrick Jensen zum Beispiel sieht das so. Der 40-jährige amerikanische Radikalökologe wirkt wie ein fröhlicher ewiger amerikanischer College-Student. Ein bisschen Teddybär, Mutters Liebling, Typ lieber Hippie. Derzeit wird er von einem Vortragssaal in den nächsten geschoben, um vor betuchten Bürgern aus den wohlhabenden Suburbs der USA die Rückkehr zu Jäger-und-Sammler-Lebensweisen zu predigen.
    In seinem auch auf Deutsch erschienenen Buch »Endgame« plädiert er für die Beendigung des »missglückten Experiments Fortschritt«. In »Das Öko-Manifest – wie nur 50 Menschen das System zu Fall bringen und unsere Welt retten können« rät er ganz ernsthaft zur Sprengung aller lebenswichtigen Versorgungslinien der Zivilisation – Staudämme, Kraftwerke, Brücken. Jensen, der sich selbst als »Anarcho-Primitivisten« sieht, beschreibt Zivilisation als »permanenten Holocaust« und findet, »dass wir wieder zum Tier werden sollten«. Die Gesellschaft muss radikal entindustrialisiert, Arbeitsteilung, Spezialistentum und Großtechnologien komplett aufgegeben werden. Er plädiert für eine »vollständige und nachhaltige Befreiung des Planeten von der Zivilisation«. Mit anderen Worten: für den!Kung-Lebensstil.
    Charles Darwin schrieb im Jahre 1839 über die Bewohner der Tierra del Fuego: »Sogar ein Stück Stoff wird in Streifen zerrissen und verteilt; kein Individuum wird reicher als das andere.« Aber er fügte auch hinzu: »Eine solche perfekte Gleichheit muss diese Kultur für lange Zeit in retardiertem Zustand halten.« 9

    Auch für Karl Marx, diesen bürgerlichen Bohemien, wären die!Kung wahrscheinlich faszinierend gewesen (in der Tat beschäftigte er sich in vielen Werken mit den »Wilden-Kulturen«). Marx kannte Darwin, dem er 1867 sogar den ersten Band des »Kapitals« widmen wollte (was dieser dankend ablehnte). 10 Er bewunderte den Naturromantiker Rousseau, der den Menschen als durch die Zivilisation verdorbenes und vergewaltigtes Naturwesen definierte. Obwohl – oder gerade weil – er Religion verachtete, war Marx durch und durch ein Kind der christlichjudäischen Denktradition. In dieser Tradition existierte in der Vergangenheit ein Zustand der Harmonie und Balance zwischen Mensch und Natur, Gott und Erde, der durch einen »Sündenfall« zerstört wurde. Für Marx war das Privateigentum der Sündenfall, und der Kommunismus würde, analog zum Gottesgericht, den »verderbten« Zustand beenden. Und so scheinen die eigentumslosen Heiden der Kalahari mit jenem Zustand der kommunistischen Utopie identisch, den Marx in seinen typischen Bandwurmsätzen in der »Deutschen Ideologie« von 1845 formulierte:
    »Und endlich bietet uns die Teilung der Arbeit gleich das erste Beispiel davon dar, dass … die eigne Tat des Menschen … ihn unterjocht, statt dass er sie beherrscht. Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft … die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust hab …«
    Jäger, Fischer, Hirt, nach dem Essen Palaver: Marx’ Utopie einer nichtarbeitsteiligen Gesellschaft ähnelt erstaunlich der Realität von Jäger-und-Sammler-Kulturen. Die!Kung jagen, sammeln und kritisieren, »jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach seinen Talenten, jeder nach seinem Bedarf.«
    Wie alle indigenen Kulturen ist auch die der!Kung von der modernen Zivilisation existentiell bedroht. Die willkürlichen Grenzziehungen der afrikanischen Nationalstaaten behindern zunehmend den Zug der Tiere. Die jungen!Kung haben zudem immer weniger Lust auf das traditionelle Leben in der Strohhütte. Wer einmal weggeht, kommt kaum wieder. Viele der jungen Leute scheitern in den Slums von Johannisburg oder Luanda.
    Natürlich lässt sich dieser Trend leicht auch auf die postkolonialistischen Bestrebungen der Regierungen im Süden Afrikas zurückführen, die Buschmänner zum Vorteil der Rohstoffausbeutung zu
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