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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels
Autoren: Matthias Horx
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traditionellen!Kung-Siedlungen besucht, meist eine Ansammlung von fünf bis zehn Strohhütten (es gibt inzwischen auch etliche Dörfer mit permanenten Blechdach-Häusern),
sieht jede Menge Muße und Nichtstun, was schon angesichts der erbarmungslos brennenden Sonne eine angemessene Verhaltensform ist. 3 Abends beginnen so gut wie immer ausgedehnte Rituale, die in den losen Gruppen für sozialen Zusammenhalt sorgen, Heilrituale zum Beispiel. Krankheiten, so glauben die!Kung, entstehen dadurch, dass Geister verzauberte Pfeile auf ein Mitglied der Sippe lenken. Durch Trancetänze, die tagelang dauern, wollen sie dem Leiden beikommen. Zahlreiche Fleisch- und Beutetänze dienen obendrein der Kommunikation zwischen Verwandten oder befreundeten Sippen in der Nachbarschaft.
    Die!Kung als »primitive Unwissende« zu bezeichnen, fällt nur einem Ignoranten ein. Sie kennen die sie umgebende Natur bis ins feinste Detail – 350 Tierarten und ihre Gewohnheiten sind ihnen vertraut, 250 Pflanzenarten nutzen sie auf die eine oder andere Weise. Ethnologen berichten von erstaunlichen Fähigkeiten, wie die, dass Jäger Tiere und ihre Bewegungen über viele Kilometer hinweg wahrnehmen können, obwohl kein Sichtkontakt besteht. Ihre Sensibilität für Wetterereignisse ist extrem ausgeprägt. Die!Kung besitzen keine »Technologie« in unserem Sinne, und die Gebrauchsgegenstände sind primitiv. So nutzen sie Straußeneier als Behältnisse für Wasser und Essen und gegerbte Antilopenmägen als tragbare Wasserbehälter. Aber sie verfügen über erhebliche handwerkliche Fertigkeiten, etwa bei der Konstruktion von Speeren. 4
    Faszinierend ist vor allem, wie die!Kung mit Besitz und Macht umgehen. Ihre Großzügigkeit ist legendär. Mit Eigentum können sie offenbar wenig anfangen. Sie sind regelrecht davon besessen, Fleisch loszuwerden, schon deshalb, weil man es nicht konservieren kann. »Nur der unerfolgreiche Jäger hat noch Fleisch!«, lautet eine!Kung-Weisheit. Es gibt keine Häuptlinge, keine dauerhaften Führer, allenfalls zeitliche Sprecher. 5 Die!Kung scheinen Hierarchien und Konflikte zu fürchten. Sie pflegen eine zeitaufwendige Palaverkultur, gegen die jede studentische Wohngemeinschaft wie ein Ausbund an kommunikativer Effizienz wirkt. Bei den Debatten unterstützen die meisten Redner den Vorredner
nicht im Geringsten. Alle kritisieren alles Mögliche und das wild durcheinander. Am Ende lösen sich die Aggressionen zumeist in Wohlgefallen auf. 6
    Die ausgeprägten Egalitätsrituale der!Kung haben über Jahrhunderte Ethnologen und Anthropologen zur Verzweiflung gebracht. Bereits die Kontaktaufnahme erwies sich als äußerst schwierig. Fremde werden meist mit einer Mischung aus Misstrauen und wohlwollender Ignoranz wahrgenommen. Schmuck oder Edelmetalle zählen in der Kalahari eher zur Kategorie »überflüssiger Müll«.
    Da Fleisch eine herausragende Bedeutung spielt, näherten sich die Forscher also mit Fleischgaben. Sie spendeten einen Ochsen. Ein dickes Schwein. Oder eine besonders fette Gazelle. Was sie ernteten, war Gelächter. Schallendes, grölendes Gelächter! Die Gaben wurden abgelehnt. Kommt nicht in Frage! Spinnt ihr? Viel zu viel Fleisch!
    »Wenn ein Mann zu viel Fleisch erlegt«, so sagen die!Kung, »neigt er zu Hochmut und Arroganz. Dann glaubt er, er ist ein Häuptling oder Großer Mann. Und wir anderen sind seine Sklaven. Eines Tages wird sein Hochmut ihn dazu bringen, einen Menschen zu töten. Deshalb reden wir immer vom vielen Fleisch, das wertlos ist . So kühlen wir sein Herz und machen ihn freundlich!« 7

Eine nachhaltige Gesellschaft
    Für jeden Globalisierungskritiker, Greenpeace-Anhänger, Naturromantiker, Zivilisationskritiker (wer wäre das heute nicht?) müsste in der namibischen Wüste das Ziel der Träume erreicht sein. Ist das nicht eine wunderbar egalitäre, mit der Natur in Einklang lebende Kultur? (Außer den!Kung gibt es noch einige andere Jäger und Sammler wie die Nunamiut in Alaska, die Yanomami im venezolanisch-brasilianischen Urwald, die Hadza in Tansania, um nur drei zu nennen.) Kein Geldsystem, keine
Spekulation, kein nennenswertes Eigentum, kein Stress, kein überflüssiger Konsum – dafür reichlich Bewegung und soziales, solidarisches Zusammensein. Obwohl zwischen Männern und Frauen eine gewisse Arbeitsteilung herrscht, ist diese nicht strikt und führt nie zu klassischen Patriarchatsverhältnissen; die Geburtenrate regelt sich auf geheimnisvolle Weise von selbst (in Trockenzeiten
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