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Das Buch des Wandels

Titel: Das Buch des Wandels
Autoren: Matthias Horx
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Lebensjahr gestillt). Viele zehntausend Jahre nach
dem Exodus aus Afrika blieben unsere Vorfahren der nomadischen Lebensform treu. Sie breiteten sich erst im Nahen Osten aus, von da aus über Indien nach Australien, wo sie vor 50 000 Jahren ankamen, Europa wurde vor 35 000 Jahren besiedelt. Erst vor rund 12 000 Jahren wanderten Menschen von Asien über die damals noch existierende Landbrücke nach Nordamerika.
    Unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren lernten auf diesem Weg, sich gegen kalte Temperaturen zu schützen, wie die Inuit. Sie perfektionierten die Jagdwaffen, um große und gefährliche Tiere zu erlegen. Auch wenn sie sich an Flussbiegungen, geschützten Hängen, in Höhlengebieten vorübergehend niederließen – sie blieben immer Wanderer, deren zentrale Überlebensstrategie bei Knappheiten, Katastrophen und Klimawandeln das Weiterziehen war. So zerstreute sich die zahlenmäßig geringe Menschheit auf dem riesigen Planeten. Unser großes Hirn half uns, die Techniken der Jagd und der Pflanzensuche allmählich zu verfeinern. Unser großes Hirn war aber auch gleichzeitig unser größtes Handicap. Weil es Geburten schwierig und riskant machte. Weil Homo-sapiens -Kinder viel länger hilflos bleiben als Affenbabys oder Neandertalerkinder.
    Jagen und Sammeln ist eine dem menschlichen Organismus »genuine« Tätigkeit. Wir haben uns im Lauf der Evolution zum Savannenläufer entwickelt (ein Grund, weshalb bei den sehnigen!Kung die Herzinfarktraten bei null liegen). Bei Jagd- und Sammeltätigkeiten sind unsere Muskel-, Skelett- und Kognitionsfähigkeiten perfekt ausgelastet; Ausruhen und Anstrengen, Spähen und Orientieren, Flüchten und Koordinieren – Adrenaline und Dopamine, die »neuronalen Treibstoffe« unseres Gehirns, bleiben auf diese Weise im Training und im Gleichgewicht. Als Jäger und Sammler konnte der Mensch auch die klimatischen Extremregionen besiedeln: Wo tierisches Eiweiß in Form großer Beutetiere vorkommt, kann die Ernährung von kleinen Gruppen über längere Zeit sichergestellt werden. In feuchtwarmen Gegenden, etwa in Polynesien, bieten Fisch und tropischer Wald ausreichende
Nahrungsquellen. Kein Wunder also, dass Jagen und Sammeln eine halbe Million Jahre die einzige »Produktionsform« des Menschen darstellten.
    Doch dann, beginnend vor 13 000 Jahren, explodierte die Menschenzahl plötzlich um das 1000-Fache – in nur 500 Generationen. In jener Zeit veränderte sich das Klima auf dem ganzen Planeten. Die Zwischeneiszeit wich einer Warm- und Trockenzeit. Die großen Tiere auf der Nordhalbkugel, die von den Jägern bis dahin sehr erfolgreich gejagt worden waren, die Mammuts, Wollnashörner und Riesenbären, starben aus. Damit brach die nächste Epoche der Menschheitsgeschichte an: die neolithische Revolution.
    Vieles spricht dafür, dass der Übergang in die agrarische Lebenskultur mit Beginn der Jungsteinzeit der Menschheit zuerst eher Nachteile als Vorteile brachte. Ausgrabungen in Göbekli Tepe in Ostanatolien und anderen Pionierorten der Bauernkultur zeigen, dass die frühzeitlichen Bauern gegenüber den Jägern und Sammlern gesundheitlich und kräftemäßig eher schlechter gestellt waren – der Nährwert des Getreides, das damals noch weitgehend den Gräser-Wildformen entsprach, reichte nicht aus. Die Menschen wurden kleiner und die Lebenserwartung sank. Die Kindersterblichkeit nahm zu. 15
    Der Evolutionsanthropologe Robert Wright formulierte die Gründe für die agrarische Transformation lapidar: »Weil es einfach eine gute Idee war!« 16 Man muss hinzufügen: Zu bestimmten Zeiten war es die zentrale Überlebensidee. Vor 10 000 Jahren wurde das Klima in den Übergangsbreiten feuchter und regenreicher. Die großen Tiere verschwanden, die Pflanzenmasse explodierte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Jäger und Sammler darauf reagieren mussten. Wahrscheinlich entwickelten sich die ersten Agrikulturen in Zusammenhang mit der Domestizierung von Haustieren – Pflanzen, die man nicht essen konnte, konnte man Tieren verfüttern. Aus Jägern und Sammlern wurden also Bauern und Viehzüchter und Hirten. Dazu Robert Wright: »Die Frage ist nicht, warum die Jäger und Sammler Landwirtschaft
›wählten‹, sondern warum sie den langen Weg dorthin mit kleinen Schritten gingen … Ein Teil der Antwort ist, dass diese Jäger und Sammler Menschen waren. Menschen sind neugierig. Sie experimentieren mit der Natur und versuchen sie in ihrer Weise zu beeinflussen.« 17
    Josef H. Reichholf führt in
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