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Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Marlene Klaus
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Turmbläser vom Jakobstor zum Beginn der Nacht geblasen.
    Die Dächer der beiden gegenüberliegenden Scheunen waren weiß bepudert, es schneite. Eine Schneeflocke ließ sich auf Philipps Nase nieder, er fuhr mit dem Handrücken drüber, um die Nässe wegzuwischen.
    Kolb stapfte Richtung Kanzleigasse davon, und Philipp betrachtete dessen Fußspuren auf den drei Stufen vor sich. Ob es nötig wäre, die Treppe zu fegen, damit niemand stürzte? Er würde den Kollegen Hans darum bitten. Er selbst musste die Zollzeichen fertig machen.
    Er war im Begriff, die Tür zu schließen, als ihm eine schwarz vermummte Gestalt auffiel, die ebenfalls Richtung Kanzleigasse ging, nicht mehr als ein Schatten, mit schneebedeckter Kapuze, die das Gesicht verhüllte. Der Schatten wirkte seltsam unförmig, als habe er einen Buckel oder verkrüppelte Schwingen wie ein Dämon. Auf der Höhe der Tür verlangsamte er seinen Schritt, wandte den Kopf kurz herüber, machte eine Bewegung, als wolle er sich entschließen, heranzukommen.
    Das kam nun gar nicht infrage! Rasch schloss Philipp die Tür und drehte den Schlüssel im Schloss. Sicher ein Aussätziger. Doch für Almosen war die Kanzlei nicht der rechte Ort. Was wollte der im Oberen Kalten Tal? Dem Viertel, in dem lediglich Hofbedienstete wohnten? Man würde ihn davonjagen. Vielleicht will er auch nur zum „Blauen Hut“, dachte Philipp, während er in die Stube im Erdgeschoss zurückging. Durch den schiefergedeckten Turm am Ende des Kalten Tals in der östlichen Stadtmauer gelangte man ebenfalls hinaus in die Jakober Vorstadt, wo Pilgerquartiere und Spitäler lagen.
    Philipp schloss die Tür der Schreibstube. Hier war es warm, ein Feuer brannte im Ofen, Kerzen in Wandhaltern und im Messingständer auf dem Schreibtisch erhellten den Raum, in dem es nach Papier und Kerzenwachs roch. Er setzte sich wieder an den Tisch, von dem er zuvor aufgestanden war, um Sekretarius Kolb hinauszulassen. Vor ihm lagen die Zollzeichen, die er fast fertig gestempelt hatte. Nur wenige waren noch übrig, er machte sich an die Arbeit. Das tintengetränkte Leintüchlein, in das er den kurpfälzischen Stempel drückte, roch eigen nach Kanzlei. Er mochte, wie es in der Schreibstube roch. Er mochte, wie es in der gesamten Kanzlei roch. Nach Holzkästen, Siegelwachs und Sackleinwand. Und wenn die fürstlichen Räte und Juristen an ihm vorbeieilten, wehte hinter ihren schwarzen Wämsern ein Dunst aus Tinte, Schweiß und Bratenfleisch vom Mittagsmahl her.
    Derzeit ging es emsig zu. Kaum einer der Sekretäre und Schreiber konnte in diesen Tagen pünktlich um fünf Uhr Feierabend machen. Sie schwirrten umher, suchten Truhen und Kisten zusammen, packten Schriftstücke und Urkunden hinein, bearbeiteten Dringliches und Liegengebliebenes gleichermaßen eilfertig. Und die schwarzgelben Umhänge der Pfälzer Boten wehten in noch größerer Eile als sonst durch die Türen, wenn diese mit wichtigen Mienen nach jenen fragten, denen sie Botschaften zu überbringen hatten, oder jenen, die nach ihnen geschickt hatten. Denn Kurfürst Friedrich IV. verließ Heidelberg in wenigen Wochen, um in die Oberpfalz zu reisen. Man hatte im entfernten, zur Pfalz gehörenden Territorium nach ihm verlangt. Er sollte dort für eine längere Zeit seinen Aufenthalt nehmen und die Angelegenheiten ordnen. In der Oberpfalz schien der Aufstand der Einwohner gegen das calvinistische Pfälzer Regiment immer bedrohlicher zu werden. Die Anwesenheit des Fürsten war vonnöten. Und bis also Ihro Gnaden mit der Hälfte seines Hofstaates im Januar gen Amberg abreiste, mussten Unterlagen gesichtet, Schriftstücke vorbereitet, Bestände geprüft und der Reisezug gerüstet werden. Das setzte die Kanzlei noch mehr als sonst in Umtrieb.
    Zu alledem war heute Martinstag. Das neue Wirtschaftsjahr begann. Zahltag für das abgelaufene Pachtjahr. Die Collectoren waren seit dem Nachmittag durch das Gebäude gehastet, um die eingenommene Pacht in der Rechenkammer abzuliefern. Die Rechenschreiber hatten nicht einmal Zeit für eine Pause gehabt und den Imbiss, den Philipp ihnen zu Mittag gebracht hatte, neben den Rechnungsbüchern eingenommen.
    Er lehnte sich im Stuhl zurück und hob den Kopf. Im schwarzen Rechteck des Fensters gegenüber spiegelte sich sein Gesicht, bartlos derzeit, schmal. Draußen war es jetzt gänzlich dunkel. Philipp blähte seinem Spiegelbild die Backen auf, strich das ohrlange blonde Haar nach hinten. Er sah auf das Stundenglas. Fünf Uhr vorbei. Er hatte
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