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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten
Autoren: Jonathan Kellerman
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noch ein Teenager. Sehr dünn - eingefallener Bauch, Brustkorb wie ein Waschbrett, schmächtige Schultern, spindeldürre Arme und Beine. Ein Netz von Schnitt und Stichwunden überzog Rumpf und Hals. Daneben merkwürdige schwarze Punkte. Beide Brüste fehlten, an ihrer Stelle waren purpurrote, lanzettförmige Flächen zu sehen. Ihr kantiges Gesicht war im Profil aufgenommen, die toten Augen blickten nach rechts. Über ihrer Stirn, dort, wo man die Haare erwartet hätte, schwebte eine rubinrote Wolke.
    Violette Hämatome zogen sich ringförmig um Hand und Fußgelenke. Beide Beine waren ebenfalls mit schwarzen Punkten gesprenkelt - die Punkte waren von rosafarbenen Höfen umgeben. Entzündet.
    Verbrennungen von glühenden Zigaretten.
    Lange, weiße Beine, weit gespreizt die bitterböse Karikatur einer sexuellen Einladung. Dieses Foto hatte ich schlicht überblättert.
    Central, Beaudry Avenue, Leiche wurde an der Auffahrt zum Freeway 101 liegen gelassen. Sexualmord: skalpiert, erdrosselt, aufgeschlitzt und verbrannt. N. a.
    »›N. a.‹«, zitierte ich. »Nicht aufgeklärt?«
    Milo sagte: »Das Album und das Packpapier - war das alles?
    Kein Zettel, nichts?«
    »Nein. Nur das da.«
    Er nahm das blaue Packpapier erneut in Augenschein, dann das pinkfarbene Fleischerpapier, bevor er sich wieder dem massakrierten Mädchen zuwandte. Saß eine ganze Weile da, bis er schließlich eine Hand hob und sich das Gesicht rieb, als wolle er sich ohne Wasser waschen. Ein alte Angewohnheit. Manchmal hilft sie mir, seine Stimmung zu erraten, manchmal fällt sie mir auch gar nicht auf.
    Er wiederholte die Geste. Kniff sich in die Nasenwurzel. Rieb sich wieder das Gesicht. Verzog den Mund, ohne ihn wieder zu entspannen, und starrte erneut auf das Bild.
    »Oje, oje«, sagte er. Einige Augenblicke später. »Ja, würde ich auch vermuten. Nicht aufgeklärt.«
    »Unter keinem anderen Foto steht ›N.a.‹«, sagte ich. Keine Antwort.
    »Soll das heißen, dass wir uns hierauf konzentrieren sollen?«
    Keine Antwort.
    »Wer war sie?«, fragte ich.
    Seine Lippen entspannten sich, er sah zu mir auf und zeigte mir die Zähne. Nicht etwa ein Lächeln, nicht einmal im Ansatz. Es war eher der Gesichtsausdruck eines Bären, der eine Gratismahlzeit erspäht.
    Er nahm das blaue Album vom Tisch. Es vibrierte. Seine Hände zitterten. Das hatte ich bei ihm noch nie erlebt. Wieder stieß er dieses entsetzliche Lachen aus, dann legte er das Ringbuch zurück. Rückte die Kanten gerade. Stand auf und ging ins Wohnzimmer. Vor dem Kamin blieb er stehen, griff nach einem Schürhaken und tippte ganz sachte gegen die Graniteinfassung.
    Ich sah mir das verstümmelte Mädchen genauer an.
    Er schüttelte heftig den Kopf. »Warum willst du dir mit so was das Hirn zermartern?«
    »Und was ist mit deinem Hirn?«
    »Meines ist sowieso schon verseucht.« Meines auch. »Wer war sie, Milo?«
    Er stellte den Schürhaken zurück. Ging im Zimmer auf und ab.
    »Wer sie war?«, sagte er. »Zuerst war sie jemand, und dann war sie niemand.«

5
    Die ersten sieben Morde waren nicht so schlimm, wie er gedacht hatte. Überhaupt nicht schlimm, verglichen mit dem, was er in Vietnam gesehen hatte.
    Sie hatten ihn in die Central Division gesteckt, nicht weit entfernt, in geographischer wie in kultureller Hinsicht, von Rampart, wo er ein Jahr lang Uniformdienst geschoben hatte, gefolgt von acht Monaten beim Betrugsdezernat von Newton.
    Er hatte sich aus der ursprünglichen Dienstzuteilung für Newton noch einmal herausreden können, zur Sitte hatten sie ihn stecken wollen. Na, das wäre vielleicht ein Vergnügen gewesen. Hahaha. Guter Witz. Nur dass er selbst nicht darüber lachen konnte.
    Er war siebenundzwanzig Jahre alt, kämpfte bereits gegen den wachsenden Rettungsring um seine Hüften an, war ganz neu im Morddezernat und keineswegs sicher, ob ihm das wirklich lag. Oder überhaupt irgendeine Art von Polizeiarbeit. Aber an diesem Punkt in seinem Leben, nach Südostasien, was hatte er da für Möglichkeiten?
    Ein frisch gebackener Detective I, der sein Geheimnis für sich behielt, obwohl er wusste, dass die Leute redeten.
    Niemand sprach ihn direkt darauf an, aber er hatte schließlich Ohren.
    Irgendwas ist anders an ihm, als ob er sich für was Besseres hält.
    Trinkt, aber redet nicht.
    Ist sich zu fein für ein kleines Schwätzchen.
    Ist zu Hank Swangles Junggesellenparty gekommen, aber als sie das Groupie reingebracht haben und der Rudelfick losging, wo war er da, bitte schön?
    Ein
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