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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten
Autoren: Jonathan Kellerman
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und mir anderer Leute Probleme zu Gemüte zu führen, hatte mich mit der Zeit schlichtweg gelangweilt .
    Es war überhaupt merkwürdig, dass ich mich für den Beruf des Therapeuten entschieden hatte. Ich war ein wildes Kind gewesen hatte schlecht geschlafen, war ruhelos und hyperaktiv gewesen, mit hoher Schmerzschwelle und einer Neigung zu riskanten Aktivitäten mit der Gefahr von Verletzungen. Dann hatte ich die Bücher für mich entdeckt und war ein wenig zur Ruhe gekommen, doch das Klassenzimmer hatte ich als Gefängnis empfunden, weshalb ich die Schule im Eiltempo absolviert hatte, um ihren Mauern zu entkommen. Mit sechzehn hatte ich den Highschool-Abschluss gemacht und mir mit dem Geld, das ich in den Sommerferien verdient hatte, ein altes Auto gekauft. Ich hatte die Tränen meiner Mutter und die finsteren und misstrauischen Blicke meines Vaters ignoriert und hatte die Ebenen von Missouri hinter mir gelassen. Vorgeblich, um ein Studium zu beginnen, in Wirklichkeit aber, um mich in die Gefahren und Verlockungen von Kalifornien zu stürzen.
    Hatte mich gehäutet wie eine Schlange. Auf der Suche nach etwas Neuem .
    Das Neue, Unbekannte war schon immer meine Droge gewesen. Ich verzehrte mich nach schlaflosen Nächten und Gefahren, unterbrochen von langen Phasen der Einsamkeit; nach kniffligen Problemen, die mir Kopfschmerzen bereiteten, nach regelmäßigen Dosen schlechter Gesellschaft und den ebenso abstoßenden wie unwiderstehlichen Begegnungen mit dem Gewürm, das sich in den dunklen Winkeln der Seele schlängelte. Ein rasendes Herz machte mich glücklich. Wenn mich ein kräftiger Adrenalinstoß durchrüttelte, hatte ich das Gefühl, am Leben zu sein. Und wenn das Leben zu lange im Schneckentempo dahinkroch, fühlte ich mich leer und unausgefüllt.
    Unter anderen Voraussetzungen hätte ich das Problem vielleicht gelöst, indem ich aus Flugzeugen abgesprungen wäre oder nackte Felsen erklommen hätte. Oder noch Schlimmeres.
    Vor Jahren war ich einem Detective der Mordkommission begegnet, und danach war nichts mehr so gewesen wie zuvor. Robin hatte sich das lange gefallen lassen. Aber jetzt hatte sie die Nase voll, und ich würde irgendeine Entscheidung treffen müssen früher oder später, aber besser früher.
    Sie liebte mich. Das wusste ich. Vielleicht hatte sie es mir deshalb so leicht gemacht.

2
    In Paris stimmen alle Klischees. Du trittst aus deinem Hotel in den winterlichen Nieselregen hinaus, marschierst aufs Geratewohl los und findest dich irgendwann in einem Cafe in der Nähe der Tuileries wieder, wo du überteuertes Baguette und körnigen Kaffee aus der Cafetière bestellst; dann weiter zum Louvre, wo die Warteschlangen auch in der Nebensaison erschreckend lang sind. Du beschließt also, die Seine zu überqueren, ignorierst den Motorenlärm auf dem Pont Royal, während du in die trüben Fluten starrst, und versuchst es mit dem Musée d'Orsay, wo du deine Füße einer zweistündigen Marter unterwirfst, um dir die Früchte der Genialität einzuverleiben. Dann weiter, immer tiefer in die schmuddeligen Seitengassen der Rive Gauche hinein, wo du dich unter die ganz in Schwarz gekleideten Scharen mischst und heimlich in dich hineinlachst, wenn du die imaginären Klänge eines asthmatischen Akkordeons hörst, die sich über den Lärm der stotternden Motorroller und der jaulenden Renaults legen.
    Es geschah eines frühen Nachmittags vor einem Laden in St. Germain. Robin und ich hatten ein dunkles, enges Herrenmodegeschäft betreten, in dessen Fenster sich Schaufensterpuppen mit den verschlagenen Augen von Taschendieben zwischen aufdringlichen Krawatten lümmelten. Seit dem frühen Morgen waren immer wieder kurze, aber heftige Regenschauer niedergegangen. Der Schirm, den wir uns an der Hotelrezeption erbettelt hatten, war nicht groß genug für uns zwei, und am Ende waren wir beide mehr als nur halb durchnässt. Robin schien das nichts auszumachen. Ihre Locken waren mit glitzernden Wasserperlen benetzt, und ihre Wangen glänzten rosig. Seit wir in L. A. an Bord gegangen waren, war sie sehr ruhig gewesen. Während des Fluges hatte sie die meiste Zeit geschlafen, das Essen hatte sie zurückgehen lassen. An diesem Morgen waren wir spät aufgewacht und hatten kaum geredet. Als wir dann am Fluss entlangspaziert waren, hatte sie einen abwesenden Eindruck gemacht hatte ins Leere gestarrt, meine Hand gehalten und sie gleich darauf wieder losgelassen, nur um sie wieder zu packen und fest zu drücken - als habe sie gegen
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