Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
ist noch ein Euphemismus.«
    »Na ja«, meinte ich. »Dann sage ich wohl besser den Fototermin für In Style ab. Apropos Fotografie…«Ich hielt ihm das Album hin.
    »Du wechselst das Thema«, sagte er und brachte seine Einsneunzig voll zur Geltung, indem er kritisch auf mich herabschielte. »Wie nennt man das unter Psychologen?«
    »Das Thema wechseln.«
    Er schüttelte den Kopf, doch seine Miene blieb freundlich, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Wäre da nicht die sichtliche Anspannung um die Augen und die Mundwinkel gewesen, er hätte geradezu friedlich ausgesehen. Blass, das von Akne gezeichnete Gesicht ein wenig hagerer als sonst, der Bierbauch noch Lichtjahre davon entfernt, flach zu sein, aber mit deutlich reduzierter Wölbung.
    Eine Diät? Oder war er wieder einmal auf dem Abstinenzler-Trip?
    Er hatte seine Kleidung mit ungewöhnlich viel Sinn für farbliche Harmonie ausgewählt: ein billiger, aber sauberer marineblauer Blazer, khakifarbene Baumwollhosen, ein am Kragen nur ganz leicht ausgefranstes weißes Hemd, nagelneue beigefarbene Desert Boots mit rosafarbenen Gummisohlen, die quietschten, als er sein Gewicht verlagerte und mich weiterhin eingehend musterte. Der Haarschnitt war auch nagelneu. Das übliche Schema: die Locken an den Seiten und am Hinterkopf kurz geschnitten, oben lange, üppig sprießende Strähnen. Über der pockennarbigen Stirn wippte eine einzelne schwarze Tolle. Von den Schläfen bis ans Ende der zu langen Koteletten hatten die Haare sich schneeweiß verfärbt. Der Kontrast zu den schwarzen Haaren oben auf dem Kopf wirkte etwas unpassend - er selbst nannte sich neuerdings schon »Mr. Skunk«.
    »Herausgeputzt und frisch frisiert«, sagte ich. »Soll das so eine Art Neuanfang markieren? Soll ich lieber darauf verzichten, dich zu verköstigen? Wie auch immer, jetzt nimm endlich das verdammte Album.«
    »Robin«
    »Später« Ich hielt ihm das blaue Album unter die Nase.
    Er hatte die Arme immer noch verschränkt. »Leg es einfach wieder auf den Tisch.« Er nahm ein paar Gummihandschuhe aus seinem Ausrüstungskoffer, zog sie an, betrachtete den blauen Einband, las die Aufschrift, schlug das Buch auf, blätterte zum ersten Foto.
    »Alt«, murmelte er. »Der Farbton und die Kleider. Vermutlich ein Gruselalbum, das irgendjemand auf dem Dachboden versteckt hatte.«
    »Polizeiaufnahmen?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Eine Privatsammlung, die sich jemand aus dem Archiv zusammengeklaut hat?«
    »Die Fälle werden zu den Akten gelegt, irgendwen juckt's in den Fingern, wem fällt es schon auf, wenn aus jeder Akte ein paar Fotos fehlen?«
    »Ein Cop?«
    »Ein Cop oder sonst irgendein Typ mit einem Hang zum Makabren. Viele haben Zugang zu den Akten, Alex. Manche fühlen sich zu dem Job hingezogen, weil sie auf Blut stehen.«
    »›Die Mordakte‹«, sagte ich. »Der Titel erinnert an einen offiziellen Ermittlungsbericht.«
    »Und die Farbe ist auch die gleiche. Wer immer das geschickt hat, kennt sich mit dem Prozedere aus.«
    »Anspielungen auf die Polizeipraxis… aber warum schickt er es dann mir?«
    Er gab keine Antwort.
    Ich sagte: »Sie sind nicht alle so alt. Blätter mal weiter.«
    Er sah sich noch einige weitere Fotos an, blätterte zu der ersten Aufnahme zurück und dann wieder vor bis zu der Stelle, an der er unterbrochen hatte. Musterte weiter Foto um Foto, blätterte immer schneller, überflog die Bilder des Grauens genau so, wie ich es getan hatte. Dann hielt er plötzlich inne. Starrte ein Foto im hinteren Teil des Albums an. Seine massigen Knöchel schienen die Gummihandschuhe zerreißen zu wollen, so fest hielt er das Album gepackt.
    »Wann genau hast du das hier bekommen?«
    »Es war heute in der Post.«
    Er griff nach dem Packpapier, las die Adresse, prüfte den Poststempel. Dann wandte er sich wieder dem Album zu.
    »Was ist denn?«, fragte ich.
    Er legte das Album auf den Tisch, aufgeschlagen auf der Seite, die ihn hatte innehalten lassen. Er saß da, die Hände zu beiden Seiten des Albums flach auf den Tisch gelegt. Er knirschte mit den Zähnen. Lachte. Das Geräusch hätte ein Beutetier lähmen können.
    Foto Nr. 40.
    Eine Leiche in einem Straßengraben, in dem sich trübes Wasser gesammelt hatte. Rostfarbenes Blut auf hellbrauner Erde. Am rechten Bildrand waren trockene Unkrautbüschel zu erkennen. Mit weißem Filzstift waren Pfeile auf das Foto gemalt worden, die auf das Opfer zeigten. Doch das Opfer war auch so nicht zu übersehen.
    Eine junge Frau, vielleicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher