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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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nehmen, an einem Lappen ab. Ein markerschütternder Schrei erfüllte den Raum. Der Körper der Schwangeren spannte sich unter einer Wehe wie ein Bogen.
    «Warum hast du das getan?», fragte der Arzt, der sichtlich um Beherrschung rang.
    Liutolf fuchtelte mit den Armen. «Jetzt erkenne ich die Stimme wieder», rief er. «Das ist der Mann, der die Frau ins Kloster gebracht hat.»
    Der Arzt erhob sich und machte einen Schritt auf Odo zu. Mit ruhiger Stimme sagte er: «Du kannst dich nützlich machen, Bruder. Über dem Feuer hängt ein Topf mit warmem Wasser. Fülle eine Schüssel und bringe sie uns. Die Frau leidet unter so grausamen Schmerzen, wie ein Mann sie niemals ertragen muss. Aber sei unbesorgt, alles wird gut werden. Dein Kind wird in wenigen Augenblicken auf die Welt kommen.»
    Odo rührte sich nicht. Das Messer war noch immer hinter seinem Rücken verborgen.
    «Er hat behauptet, er sei nicht der Erzeuger», warf Liutolf ein.
    Der Arzt hob die Augenbrauen. «So, hat er das. Nun, wer auch immer der Vater sein sollte, Abt Grimald hat entschieden, dass das Kind, wenn es ein Junge wird, Otmar genannt und in die Obhut des Klosters gegeben wird.»
    Der Arzt war nur noch eine Armlänge von Odo entfernt. Er lächelte, und Odo erwiderte das Lächeln. Aber sein Blick blieb eiskalt. Mit einer blitzschnellen Bewegung zog er das Messer hervor und stieß es dem Arzt in den Hals. Röchelnd taumelte der Mann zwei, drei Schritte rückwärts, bis er gegen Liutolf prallte. Der Cellerar kreischte.
    Ohne auf Liutolf zu achten, ging Odo zu der Schwangeren, verhüllte ihren Körper mit einer Decke und zog sie auf die Beine. Sie wand sich in seinem Griff und schrie, als brenne sie im Höllenfeuer. Als sie auf wackeligen Füßen stand, fasste Odo sie unter die Achseln, um sie fortzubringen. Es war zu riskant, den Dämon im Hospiz zu vernichten, da jederzeit andere Mönche hereinkommen konnten.
    Außerdem, dachte Odo, gab es in dem Kloster nur einen einzigen Ort, der für die endgültige Überwindung des Bösen den angemessenen Rahmen bot.
    «Du bist   … der Teufel!», brüllte Liutolf.
    Odo bedachte den Cellerar mit einem verächtlichen Blick. «Nein! Der Teufel steckt in diesem Weib. Ich bin nur ein Knecht Gottes, dem das Schicksal dieser Welt in die Hände gelegt wurde.»
    Odo überlegte kurz, ob er den Alten ebenfalls töten sollte. Dafür hätte er jedoch die Frau loslassen müssen, um an das Messer zu kommen, das wieder in seiner Tasche lag. Also ließ er den Cellerar am Leben und schleifte das schreiende Weib durch die Gänge davon.
    Als er vor die Tür trat, entlud sich das Gewitter über dem Kloster gerade in einem grellen Blitz, der von Donner begleitet wurde.
     
    Die Mönche waren noch immer mit dem Löschen der Bibliothek beschäftigt.
    Unbemerkt gelangte Odo mit der Schwangeren an der Rückseite der Kathedrale zum Kreuzgang. Er öffnete die Seitentür und schob die Frau ins Innere des Gotteshauses. Aus dem Dach hatten sich mehrere Schindeln gelöst, und der Sturmwind heulte durch die Säulen der Basilika. Odos Stiefel knirschten auf den Resten herabgefallener und zerbrochener Schindeln, Lehmbrocken und Holzsplittern. Er blickte nach oben. Im Spitzdach klafften große Löcher.
    Er ergriff eine brennende Fackel, die die Mönche nach dem Gottesdienst zurückgelassen hatten, und zog das Weib weiter. Sie kamen an den Chorbänken vorbei und gingen eine Steintreppe hinab bis in das Mittelschiff unterhalb des Ambos.
    Die Schwangere krümmte sich in seinen Armen. Odo durchfuhr ein Schauer der Erregung. Die Zeit der Ungläubigen war abgelaufen. In wenigen Augenblicken würden sich Himmel und Erde öffnen und alles Böse verschlingen. Das Paradies, das heilige Jerusalem, würde sich auftun – und Gott zu seinen Jüngern kommen.
    Als sie sich auf Höhe des Kreuzaltars befanden, begann unter ihren Füßen der Boden zu beben. Auf den Altären ringsherum kippten Kreuze und Kerzenleuchter um. Das Dachgebälk knirschte. Späne, Mauerbrocken und Holz rieselten herab und hüllten Odo und die Frau in eine Staubwolke. Odo ging weiter. Sein Ziel war der Altar, derzu Ehren des heiligen Johannes im Mittelschiff zwischen zwei Säulen aufgestellt worden war.
    Immer schwerer hing die Schwangere in seinen Armen.
    Am Johannesaltar steckte er die Fackel in eine Halterung und ließ die Frau zu Boden gleiten. Sie hatte das Bewusstsein verloren. Odo holte aus und schlug ihr ins Gesicht, damit sie wieder zu Sinnen kam. Doch sie regte sich nicht. Odo
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