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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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Ohren. Der Dämon war zum Leben erwacht.
    Dann stürzte der zweite Turm ein.
     
    Als Odo wieder zu sich kam, schmerzte sein Körper, als wäre eine Ochsenherde über ihn hinweggetrampelt. Mühsam versuchte er, sich zu erheben. Er quälte sich erst auf die Knie, dann auf die Füße. Er schüttelte den Kopf, um das lähmende Gefühl loszuwerden. Aber dadurch loderten die Schmerzen nur noch heftiger auf.
    Lange konnte er das Bewusstsein nicht verloren haben. Noch immer war die Luft von herumwirbelndem Staub erfüllt. Im östlichen Teil der Kathedrale war das Deckengewölbe nun beinahe vollständig eingebrochen. Außerdem hatten die eingestürzten Türme Teile der Seitenwände niedergerissen, sodass die halbe Basilika nur noch ein Schutthaufen war. Unmittelbar neben Odo lagen gewaltige Gesteinsbrocken, zwischen denen zersplitterte Balkenreste steckten. Es war ein Wunder, dass er nicht zermalmt worden war.
    Doch Odo lebte – und das war
kein
Wunder. Nein! Es war Bestimmung. Der Herr hatte ihn noch immer nicht zu sich geholt, weil sein Knecht den Auftrag noch nicht vollendet hatte.
    Er musste den Dämon suchen!
    Fieberhaft begann Odo, sich mit bloßen Händen durchden Schutt zu wühlen. Unter den Steinen entdeckte er zuerst sein Messer, dann das Buch; es war staubig, einige Pergamente waren angerissen, aber es war nicht zerstört.
    Von dem Weib und dem Dämon fehlte jedoch jede Spur.
    Da gellte plötzlich ein helles Stimmchen durch die zerstörte Basilika. Odo krabbelte über Dutzende Schuttberge hinweg in den westlichen Teil der Kathedrale, der weitgehend unversehrt geblieben war. Der Knabe schrie jetzt ununterbrochen. Odo nahm an, dass die Frau ihr Kind in die Krypta gebracht hatte.
    Ein schlechtes Versteck! In der Grabkammer waren Mutter und Kind vielleicht vor herabfallenden Trümmern sicher, nicht aber vor dem Knecht Gottes. Denn aus der Krypta unter der Apsis gab es kein Entkommen.
    Odo arbeitete sich weiter voran. Bei jedem seiner Schritte flammten höllische Schmerzen in ihm auf. Er vermutete, dass er sich etliche Knochen gebrochen hatte, deren Splitter sich in sein Fleisch bohrten. Doch das war jetzt nicht wichtig! In wenigen Augenblicken würde er seine sterbliche Hülle verlassen.
    Er schleppte sich voran durch den Sängerchor, bis sich unmittelbar vor ihm der Abgang in die Krypta öffnete.
    Odo richtete sich auf. Neue Lebenskraft durchflutete seinen Körper. Nur noch wenige Schritte trennten ihn vom Paradies!
     
    Doch was war das?
    Odo blieb abrupt stehen. Keine fünf Schritt vor ihm tauchte im herumwirbelnden Staub ein Mann auf, der geradewegs der Krypta zu entsteigen schien. Ein kleiner,schmaler Mann, der Odo in der ausgestreckten Rechten ein Kreuz entgegenhielt.
    Was hatte das zu bedeuten? Der Mann drohte Odo mit dem Kreuz, als wolle er den Leibhaftigen abwehren. Ihn? Aber er war doch der Erlöser!
    Odo hob drohend das Messer und machte zwei Schritte auf den Mann zu. Dann erkannte er ihn. «Du?»
    Der Nordmissionar nickte stumm. Seine Miene war ernst. Er zeigte keinerlei Furcht.
    Seit Odo ihn das letzte Mal auf der Heideninsel gesehen hatte, schien er deutlich gealtert zu sein. Die Falten hatten sich noch tiefer in sein Gesicht gegraben, und unter seinen Augen hingen dunkle Tränensäcke.
    Der schmallippige Mund des Alten öffnete sich. «Weiche von mir, Satan.»
    «Was redest du da?», brüllte Odo. «Nicht
ich
bin der Satan. Der Teufel schreit da unten in der Krypta. Begreifst du denn nicht? Du bist doch ein Mann Gottes – so wie ich, ein Diener des Glaubens.»
    «Entsage dem Teufel!», erwiderte Ansgar.
    Odo schäumte vor Wut. «Nein!», schrie er. Die gebrochenen Rippen stachen in seine Lungenflügel. Er spürte den metallischen Geschmack des Blutes auf seiner Zunge.
    «Ich bin nicht der Teufel!», brüllte Odo. «Das Kind ist es. Es wurde aus dem Samen des Verderbers gezeugt. Genau wie der Vater, der Däne, dem du zur Flucht verholfen hast.»
    Der Missionar zeigte keine Regung. «Warum sollte
er
der Teufel sein?»
    Odos Messerhand zitterte. Aus der Krypta gellten noch immer die Schreie des Knaben.
    «Der Däne wurde gezeugt von Ragnar Loðbrœk, einem Mörder, der vom Dämon Superbia besessen war.»
    «Woher willst du das wissen?»
    «Von der Mutter des Dänen. Sie hat mir verraten, dass der Junge nicht ihr leibliches Kind war. Ihr Mann Einar hatte den Knaben bei einer sterbenden Frau an der Küste des Nordmeeres gefunden. Dort hatte Ragnar Loðbrœk sie über Bord geworfen.»
    Odo keuchte. Seine
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