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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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Lungen rasselten. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer. «Wenn du einen Beweis brauchst, dann sieh dir diesen Ring an.»
    «Welchen Ring?»
    Odo zog sich mit der Linken das Lederband über den Kopf. Daran hing der Ring, den er der toten Žiliška unmittelbar vor seiner Flucht aus Ralsvik abgenommen hatte. «Diesen   … hier   …» Ein Hustenanfall schüttelte ihn. «Der Däne trug ihn, als ich ihn das erste Mal sah. Er   … gehörte Alexandra.»
    Ansgars Hand mit dem Kreuz senkte sich leicht. «Alex andra?»
    Odos Augen füllten sich mit Tränen. «Sie war   … meine Mutter. Ragnar Loðbrœk hat sie geschändet. Alexandra war meine Mutter – und die des Dämons   …»
    Er fingerte unter seiner Kutte nach den Reliquien, Alexandras Fingerring und dem Silberkreuz, das sie verloren hatte, als sie ihn vor vielen Jahren vor den Heiden versteckte. Er fand beides und reichte Ansgar die Schmuckstücke zusammen mit dem Ring am Lederband.
    Der Missionar nahm ihm die Sachen ab und starrte Odo ungläubig an. «Aber dann bist du   … Herrgott! Du willst deinen eigenen Bruder töten?»
    Ein Beben durchfuhr Odos Körper. Als er hustete,strömte Blut aus seinem Mund. «Ich will nicht   … töten – ich muss   …»
    In diesem Moment entstieg die Frau der Krypta. In den Armen trug sie ihr Kind. Sie hatte den Ausschnitt ihrer Tunika weit geöffnet und ließ den Knaben an ihrer Brust saugen. Für einen kurzen Moment erfüllte Odo der friedvolle Anblick der stillenden Mutter mit einer Sehnsucht, die grausamer war als all seine körperlichen Schmerzen.
    Doch er überwand das sentimentale Gefühl, nahm seine letzten Kräfte zusammen und machte sich bereit, das Messer in den zarten Kindsleib zu stoßen. Plötzlich blitzte wie aus dem Nichts eine Schwertklinge auf, und ein wuchtiger Hieb trennte Odos Messerhand vom Arm ab.
    Verwirrt drehte er sich um. Neben ihm stand der Däne. Ihre Blicke trafen sich. Odo glaubte, in die Augen seiner Mutter zu schauen. Es waren gütige Augen, die voller Liebe sein konnten, in denen sich aber in diesem Moment Entschlossenheit spiegelte.
    Eine Erinnerung zuckte in Odos schwindendem Geist auf. Er sah Alexandra an seinem Bett sitzen, am Morgen jenes Tages, an dem die Normannen den Tod nach Paris gebracht hatten. Es war der Tag gewesen, der Odos Schicksal besiegelt und ihm den Lebensweg vorgegeben hatte, den Gott für ihn vorsah: den Weg der Rache. Und er war ihn gegangen, sein ganzes Leben lang.
    Das Gesicht des Dänen war wie versteinert, als er das Schwert zum zweiten Mal hob.
    Doch der Missionar fiel Helgi in den Arm. «Nein! Tu es nicht!»
    Der Däne hielt in der Bewegung inne.
    Odo atmete schnell und flach. Jeder Zug brannte wieGlut in seinen Lungen. Ein Beben durchfuhr ihn, und er erbrach Blut.
    Er hörte den Missionar sagen: «Helgi – bitte lass ab. Er stirbt! Er stirbt von allein. Gott wird über seine Seele richten.»
    Odo ging in die Knie. Wie ein Büßer neigte er sein Haupt unter das Schwert – in Erwartung des todbringenden Hiebs. «Erlöse mich   … Bruder! Erlöse
du
mich!»
    Doch der Däne ließ das Schwert sinken.
    Odo hob den Kopf und starrte ihn aus gebrochenen Augen an. Ein letztes Mal öffnete sich sein Mund. «Die Gnade unseres Herrn Jesus sei mit uns allen! Amen.»
    Dies waren die letzten Worte, die Gott seinem Knecht Johannes eingegeben hatte. Und dies waren Odos letzte Worte, bevor sein irdisches Leben verging.
    Es versank in ewiger Finsternis.

Epilog
    Das Tor zur Welt im Norden empfing sie mit Gestank und Lärm.
    Am frühen Abend eines klaren Sommertages im Jahre 864 erreichten Helgi und Teška mit ihrem Sohn Haithabu. Der Junge schlief friedlich in dem Tuch, das sich Teška um den Oberkörper geschlungen hatte. Ansgar hatte sie nicht begleitet; er war bei seinen Brüdern in Brema geblieben.
    In der alten Hafenstadt wimmelte es von Menschen wie in einem Ameisenhaufen. Überall begegnete ihnen munteres, buntes Stimmengewirr in den verschiedensten Sprachen, als habe es nie eine Hungersnot oder Feuerkatastrophe gegeben.
    Helgi und Teška schlenderten durch die Gassen, drängten sich vorbei an Stadtbewohnern und Durchreisenden, Bauern, Kriegern, Händlern, Handwerkern und Sklaven. Helgi stellte fest, dass die Spuren des verheerenden Feuers weitgehend beseitigt worden waren. Nur bei näherem Hinsehen konnte man die neuerrichteten Hütten mit ihren frischgedeckten Schilfdächern von jenen Häusern unterscheiden, die den Flammen nicht zum Opfer gefallen waren.
     
    Als
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