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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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Offenbarung sein.
    Aber welcher war es?
    Vergleiche die Einträge mit den Zahlen, die du aus der Offenbarung kennst,
hatte Raban gesagt.
    Die Einträge waren im Brevarium unter fortlaufenden Ziffern registriert: von eins bis zweihundertvierundneunzig. Dahinter standen die Buchtitel und die Angaben, in welchem Regal das jeweilige Buch stand. Odos Zeigefinger glitt über die erste Seite des Katalogs und blieb bei der Sieben haften, der heiligen Zahl der Offenbarung: sieben Gemeinden, sieben Leuchter, sieben Donner, sieben Köpfe des Drachen, sieben Kronen – und die sieben Sünden. Als Nummer sieben war in dem Verzeichnis die
recapitulatio
des heiligen Augustin verzeichnet.
    Odo stellte die Kerze, die er aus Rabans Zelle mitgenommen hatte, auf einen Tisch und nahm das Buch aus dem Regal. So wie angegeben enthielt es Augustins Werk – aber nicht die Offenbarung. Natürlich nicht! So einfach hätte Raban es Odo nicht gemacht.
    Er suchte weiter. Probierte es mit der Zwei, der Zahl der Teilung, der Drei, der Zahl der Räumlichkeit, der Zwölf, der Zahl, die die göttliche Drei mit der irdischen Vier vereint. Nichts! Odo griff auch den Band vierundzwanzig heraus, eine Chronik des Eusebius, dann die einhundertvierundvierzig, das Homiliar des Johannes Chrysostomus. Aber noch immer nicht die wahrhaftige Offenbarung!
    Plötzlich tönten aus der Gasse unterhalb der Bibliothek laute Stimmen. Odo stellte rasch das Homiliar zurück, ging zu einem der Fenster und schaute auf den Weg hinunter. Dutzende Mönche liefen aufgeregt zum Krankentrakt, vor dem sich bereits eine Traube regennasser Brüder drängte.
    Odo ballte die Hände zu Fäusten. Jeden Moment konnte der Verderber auf die Welt kommen, und er hatte das Buch noch immer nicht gefunden.
    Er wandte sich wieder den Regalen zu. Vielleicht handelte es sich um eine Zahl, die Johannes in seiner Schrift nicht explizit erwähnt hatte? Aber welche?
    Odo schritt unruhig die Regale ab. Plötzlich erinnerte er sich an etwas. Der Legat Radoald hatte den Subprior ebenfalls nach dem Versteck der Urfassung gefragt. Doch Raban hatte es ihm nicht verraten, stattdessen hatte er etwas über die Vollkommenheit der Sünden gesagt. Wie war der Wortlaut gewesen? Odo überlegte angestrengt.
    Dann fiel es ihm wieder ein.
    Wer nach der Vernichtung der Sünden strebt, muss ihre Vollkommenheit erkennen.
    Die Zahl der Vollkommenheit war die Sieben, und es gab sieben Sünden. Sieben und sieben ergab vierzehn. Odo zog das entsprechende Buch hervor. Doch die Ziffer Vierzehn war ein Hymnenbuch.
    Enttäuscht ließ er sich auf einem Schemel nieder und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Er war so dicht vor dem Ziel. Nur noch ein Wimpernschlag trennte die Welt von der Erlösung, wenn   …
    Odo fuhr auf. Vielleicht errechnete sich die Vollkommenheit der Sünden aus sieben
mal
sieben?, überlegte er.
    Mit vor Aufregung zitternden Fingern suchte er im Brevarium nach der Neunundvierzig. Unter der Ziffer war nur ein einziges Wort verzeichnet. Es war ein griechisches Wort und lautete
harmartia
– Verfehlung.
    Es ist die Verfehlung gegen Gott und zugleich die Betonung der Schuld. Damit kann nichts anderes als die Sünde gemeint sein, dachte Odo.
    Das Werk stand ganz oben im Regal bei den Büchern, die anscheinend nur sehr selten hervorgeholt wurden, höchstens alle paar Jahre zum Abstauben.
    Odo rückte die Leiter ans Regal, stieg hinauf und zog den Band heraus. Er war in braunes Schweinsleder gebunden. Odo schlug das Buch auf. Sein Herz trommelte, während seine Augen über die Zeilen flogen. Der Text war auf Griechisch verfasst. Odo verstand ihn, denn er hatte die alte Sprache in Saint Geneviève studiert.
    Er übersetzte:
Die wahrhaftige Offenbarung Jesu Christi, die Gott ihm gegeben hat, um seinen Knechten zu zeigen, was rasch geschehen soll   …
    Er hatte es gefunden!
    Odo blätterte weiter.
Diese Dämonen trugen die Namen
Gula, Acedia, Avaritia, Luxuria, Ira und Invidia. Er selbst, Diabolos, er hieß Superbia, der über Gott Erhabene.
    Odo schloss die Augen, um seine rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen.
    Diabolos! Superbia!
    Langsam öffnete er die Augen wieder.
    Der Verderber und seine Brut: Ragnar Loðbrœk, Helgi Einarsson und der ungeborene Bastard.
    Schwindelnd stieg Odo die Leiter hinunter, verstaute das Buch in seinem Beutel und spähte erneut aus dem Fenster. Mindestens zwei Dutzend Mönche hielten sich mittlerweile vor dem Krankentrakt auf. Drinnen bei dem Weib waren vermutlich der
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