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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden
Autoren: Axel S. Meyer
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Schnell griff Odo nach der Tranlampe auf dem Tisch und schleuderte sie dem Mann entgegen. Die Flamme erlosch im Flug, doch das Öl ergoss sich über Haar und Mantel des Soldaten. Odo nutzte das Überraschungsmoment, um eine der Kerzen aus dem Leuchter zu ziehen. Als er sie an den Mantel hielt, entzündete sich das Öl, und binnen weniger Augenblicke loderten Flammen empor. Der in Todesangst schreiende Mann drehte sich um die eigene Achse. Es sah aus, als würde er tanzen. Lichterloh brennend, versuchte er die Tür zu erreichen, um die Flammen im Regen zu löschen. Doch in seiner Panik verfehlte er die Tür und prallte gegen die Wand.
    Odo trat einige Schritt zurück. Der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft. Raban hatte sich unterdessen in die hinterste Ecke verzogen. Der Hochmut war aus seinem Raubvogelgesicht gewichen, und in seiner Miene spiegelte sich blankes Entsetzen.
    Dann endlich schlug auch der zweite Soldat lang hin. Er bewegte sich nicht mehr, während die Flammen auf seinem Körper züngelten und zischten.
    Odo wandte sich Raban zu. «Setz dich!», befahl er.
    Der Subprior hustete. Beißender Rauch hatte die Zelle eingehüllt. Er schnappte nach Luft. «Wer   … bist du wirklich?»
    «Setz dich!», wiederholte Odo.
    Raban nahm Platz.
    «Du willst wissen, wer ich bin?», sagte Odo. «Ich bin ein Knecht Gottes – wie Johannes. Ich bin der Erlöser. Der Herr hat
mich
auserwählt, das Böse zu richten und das Gute zu empfangen.»
    Odo schaute auf Raban hinab. Die Hände des Subpriors lagen flach auf der Tischplatte.
    «Du   … du bist vollkommen verrückt», stieß Raban gepresst hervor.
    Da schnellte Odo vor und stieß das Messer durch Rabans linke Hand. Die Klinge nagelte sie am Tisch fest und blieb in der Platte stecken. Raban schrie vor Schmerzen.
    Odo schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. «Wo hast du das Buch versteckt?», herrschte er ihn an. «Ich muss das Exemplar haben, von dem du einst die Abschrift angefertigt hast.»
    Raban bebte am ganzen Körper. «Lässt du mich am Leben, wenn ich es dir verrate?»
    «Gott allein wird dich richten», erwiderte Odo und riss das Messer aus der Tischplatte. Dabei zerschnitt die Klinge Rabans Hand vom Gelenk bis zu den Fingerknöcheln. Raban brüllte und sprang auf, um sich auf Odo zu werfen. Aber Odo trat blitzschnell gegen die Tischplatte undkeilte den Subprior zwischen Tisch und Wand ein. Dann packte er den Kopf des Subpriors und drückte ihn auf die Platte nieder.
    «Wo ist das Buch?», zischte er Raban ins Ohr.
    Plötzlich rollte ein ohrenbetäubender Donner über das Kloster hinweg.
    «Es ist   … in der Bibliothek», brachte Raban keuchend hervor.
    «Das habe ich mir gedacht. Es gibt kein besseres Versteck für ein Buch als eine Bibliothek. Aber wo steht es?»
    «Ich   … ich führe dich hin.»
    Das Beben erstarb. Nur die trommelnden Regengeräusche blieben zurück.
    «Ich traue dir nicht, Bruder. Sag es mir hier, und ich lasse dich am Leben.»
    Immer mehr Blut quoll aus Rabans Hand, verteilte sich auf dem Tisch und tropfte auf den Boden.
    «Such das Bücherverzeichnis, das
brevarium librorum.»
Raban schnappte nach Luft. «Vergleiche die Einträge mit den Zahlen, die du aus der Offenbarung kennst.»
    Odo hielt Raban drohend die Klinge vor die Augen. «Ich habe dich nicht nach einem Rätsel gefragt.»
    Raban lächelte gequält. «Wenn du das Buch nicht findest, bist du auf meine Hilfe angewiesen. Also wirst du mich am Leben lassen müssen   …»
    Odo zog Raban an den Haaren hoch. Für einen Moment starrten sich die Männer an, Auge in Auge. In Rabans Blick glomm ein Funken Hoffnung auf.
    Dann beschrieb das Messer einen weiten Bogen, als Odo dem Subprior die Kehle durchschnitt.

4.
    Raumhohe Regale, darin Bücher   – Hunderte Bücher.
    Odo würde Tage benötigen, um das Werk in der Bibliothek zu finden. Auf einen glücklichen Zufall konnte er sich nicht verlassen.
    Die Zeit drängte. Als Odo vor wenigen Augenblicken Rabans Zelle verlassen hatte, hatte er gesehen, wie die Mönche aufgeregt vor dem Krankentrakt hin- und herliefen. Wahrscheinlich hatte der Arzt die Brüder hinausgeschickt, denn der Anblick eines nackten Frauenleibes war tabu für sie.
    Odo suchte das
brevarium librorum.
Er entdeckte das Bücherverzeichnis in einem separaten Regal in der Nähe des Eingangs. Der Katalog enthielt zweihundertvierundneunzig Einträge, die ganze vierhundertsechsundzwanzig Bände umfassten. Einer dieser Bände sollte das Buch der wahrhaftigen
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