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Das Boese in uns

Das Boese in uns

Titel: Das Boese in uns
Autoren: Cody Mcfadyen
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brauche ihre Hilfe, Kirby«, widerspreche ich mit sanftem Nachdruck. »Sie war auch für mich da, damals, nachdem es passiert ist. Du kannst ihr vertrauen.«
    Callie schweigt, während Kirby sie aus misstrauischen Augen mustert.
    »Okay. K-könnt ihr m-mich bitte losschneiden?« »Sicher, Süße«, sagt Callie leise und kniet neben ihrem Stuhl nieder.
    Sie zieht ein Taschenmesser hervor und macht sich daran, die Seile zu durchtrennen. Kirby fängt an zu zittern. Ich lege eine Hand auf ihre Schulter, wische ihr mit der anderen die Haare aus der Stirn. Als die Fesseln abgefallen sind, bleibt sie zitternd sitzen und reibt sich die Handgelenke.
    »K-kann ich ... euch ein Geheimnis a-anvertrauen?«, fragt sie uns flüsternd.
    »Sicher. Alles«, antwortet Callie.
    Kirby grinst schwach. »I-ich schätze, m-mir geht gerade der Saft aus ...«
    Wir fangen sie auf, als sie bewusstlos aus dem Stuhl nach vorn kippt.
    Das ist es, was ich in ihren flehenden Augen gesehen habe: Kirby war am Ende, und sie wollte so wenige Zeugen für dieses Geheimnis wie nur möglich.
     
    Kirby klammert sich an mich, die Arme um meinen Hals, während Callie sie in der Badewanne wäscht. Wir säubern sie wie ein Baby, und sie wehrt sich nicht. Es ist ein Moment des Vertrauens, der so schnell wohl nicht wiederkommen wird. Ihre Muskeln zucken und zittern, und ihr Griff um meinen Hals verkrampft sich, als Callie (sanft, unendlich sanft und behutsam) ihre intimen Stellen wäscht.
    »Möchtest du meine Beichte hören?«, flüstert sie mir ins Ohr, so leise, dass nur ich sie hören kann.
    Ich sage nichts. Ich spüre, wie Kirbys Lippen sich zu einem Grinsen verziehen.
    »Ich hatte eine Freundin, als ich sechzehn war. Sie wurde von ihrem Freund umgebracht. Er hat sie totgeschlagen und ist geflüchtet. Ich habe ein Jahr gebraucht, um ihn zu finden, und es dauerte drei Tage, bis er tot war. Ich war nicht mal achtzehn, aber ich empfand nicht einen Hauch von Schuldgefühl. Niemals.«
    Ich sage nichts. Ich streichle ihr übers Haar. Sie legt den Kopf an meine Schulter und seufzt.
    Jeder, selbst Kirby, braucht jemanden, dem er seine größten Geheimnisse anvertrauen kann. Manchmal.
    Ego te absolvo, Kirby.
     

Kapitel 43
    »Was haben Sie mit den Leichen gemacht?«
    Ich sitze mit Michael Murphy im Vernehmungszimmer, wie schon mit so vielen von seiner Sorte, und versuche, ihm die letzten Geheimnisse zu entlocken. Das letzte Geständnis, die letzte Beichte. Er mustert mich, meine Narben, versucht (so stelle ich mir vor), in meine Seele zu blicken.
    »Sind Sie katholisch?«, fragt er schließlich.
    »Nicht mehr.«
    »Glauben Sie an Gott?«
    »Vielleicht. Was haben Sie mit den Leichen gemacht?«
    Er hat sich zwanzig Jahre lang vor uns versteckt. Wohin sind seine Opfer verschwunden?
    Er sitzt genauso am Tisch, wie er in den Videoclips am Tisch gesessen hat. Der Rosenkranz ist Handschellen gewichen, doch die Körperhaltung ist die gleiche. Michael Murphy ist genau da, wo er sein will. Für ihn war das Gefängnis die nächstbeste Kanzel, um seine Predigt zu verkünden. Und die Todesstrafe, die ihn und seine Schwester erwartet, ist eine Gelegenheit, zum Märtyrer zu werden. Sie haben gestanden, ohne dass wir sie vernehmen oder in den Zeugenstand rufen mussten.
    Die Videoclips haben sich tatsächlich verbreitet wie ein Virus. Sie sind via Internet einmal um die ganze Welt gegangen und wieder zurück. Hauptsächlich wurden sie von Voyeuren missbraucht als eine Gelegenheit, die letzten Augenblicke eines menschlichen Wesens zu verfolgen, ein Ohr an den Beichtstuhl zu legen. Doch es kann nicht bestritten werden, dass sie eine Debatte angestoßen haben, die Monate andauern wird, möglicherweise noch länger.
    Manche halten die Methoden der beiden Killer für unentschuldbar, sind aber der Ansicht, dass die Botschaft dennoch einen wahren Kern enthält. Mord, lautet ein Argument, ist keine christliche Tugend, die volle Wahrheit vor Gott jedoch ist es sehr wohl. Mit anderen Worten: Wir billigen nicht, wie sie es getan haben, gütiger Himmel, nein! Doch in Bezug auf das, was sie zu sagen hatten ... nun ja ...
    Es gibt eine radikale Splittergruppe, die Michael und seine Schwester sogar als Helden verehrt, als Revolutionäre. Ich bin über eine Webseite gestolpert, die T-Shirts anbietet mit Slogans wie »Die volle Wahrheit oder die ewige Verdammnis« und »Nur Gott allein kann über die Murphys richten«.
    Doch die Zahl der Unterstützer ist verschwindend gering. Die meisten Christen,
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