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Das Boese in uns

Das Boese in uns

Titel: Das Boese in uns
Autoren: Cody Mcfadyen
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die überwältigende Mehrheit, verabscheut alles, was die Murphys getan haben, jeden Aspekt ihres Tuns. Viele haben offene Briefe an die Familien der Opfer geschrieben und sich im Namen sämtlicher Christen und Katholiken für das entschuldigt, was die Murphys getan haben. Ich fühle mich an das Kapitel aus dem Katechismus erinnert, aus dem Vater Yates mir vorgelesen hat - über die Liebe als leitendes Prinzip für jedes Handeln. Es tut gut zu sehen, dass es für die meisten Katholiken nicht bloß Worte sind.
    Die Murphys bleiben für mich eine Ansammlung von Widersprüchen. Wenn man diese Monster so versteht, wie ich es tue, dann ist es so, als würde man versuchen, in eine misstönende Melodie einzustimmen, bei der man immer nur mutmaßen kann, wie sie weitergeht.
    Nicht selten gehen Fanatismus und Serienmord Hand in Hand, und die Folgen sind verheerend. Terroristenführer, die im Namen Gottes den Tod predigen, sind oftmals gar nicht wirklich an Gott interessiert. Sie ergötzen sich vielmehr am Tod von Mensehen. Hitler hat davon geredet, die »arische Rasse« zu stärken. In Wirklichkeit war er bloß ein ganz normaler Massenmörder.
    Es gab kaum Hinweise, dass Michael oder Frances bei ihren Verbrechen sexuelle Lust empfunden haben. Der Arzt im Frauengefängnis, in dem Frances einsaß, hat bestätigt, dass sie noch Jungfrau war. Weder sie noch Michael haben ein Gnadengesuch auf Erlass der Todesstrafe gestellt.
    Wahre Gläubige? Oder gibt es eine dunkle Freude, tief in ihnen und so gut verborgen vor aller Augen, dass nicht einmal sie selbst davon wissen?
    Michael kommt auf meine Frage zurück. »Was mit den Leichen geschehen ist? Möchten Sie das wirklich wissen?«
    »Nein, Michael. Ich hatte heute nur ein wenig freie Zeit und dachte, ich schaue auf ein Schwätzchen vorbei. Selbstverständlich will ich es wissen!«
    Er verschränkt die Hände und lächelt. »Dann müssen Sie mir etwas beichten. Es muss keine große Sünde sein, aber es darf auch keine Lappalie sein. Beichten Sie mir, und ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich Ihnen sage, was mit den anderen Opfern geschehen ist.«
    Ich denke über dieses Angebot nach. Es ist nie eine gute Idee, sich bei einer Vernehmung auf einen Handel einzulassen. Sobald die Vernommenen haben, was sie wollen, brauchen sie einen nicht mehr und verkriechen sich in sich selbst. Michaels Droge der Wahl ist die Wahrheit.
    »Schwören Sie bei Gott«, sage ich.
    »Wie bitte?«
    »Schwören Sie bei Gott, dass Sie es mir sagen, wenn ich etwas beichte.«
    Er zuckt die Schultern. »Wie Sie meinen. Ich schwöre bei Gott.«
    Ich lehne mich im Stuhl zurück und denke darüber nach. Er wird sich nicht zufriedengeben mit einer Lappalie wie Masturbation. Es muss etwas Persönliches sein, es muss kompliziert sein, es muss nach Wahrheit klingen, und meine persönliche Integrität darf letzten Endes keinen Schaden nehmen.
    »Meine Mutter starb, als ich zwölf Jahre alt war«, sage ich.
    »Woran?«
    »Bauchspeicheldrüsenkrebs.«
    »Das tut mir leid. Ein schmerzhafter Tod.«
    »Ja. Als es zu Ende ging, stöhnte sie nur noch, Tag und Nacht. Die Schmerzmittel halfen nicht mehr.«
    »Das muss schwierig gewesen sein für Sie.«
    Schwierig? Es setzt mir heute noch genauso zu wie damals. Der bloße Gedanke daran ist der nackte Horror. Die Haare meiner Mutter waren immer lang und voll gewesen, doch die Bestrahlung hatte sie kahl gemacht wie ein Baby und ihre schönen Augen stumpf werden lassen. Sie war abgemagert bis auf die Haut, und ihr Geruch, der Mutter-Geruch, der früher so tröstend und natürlich für mich gewesen war wie das Atmen, war verdrängt worden vom Gestank nach Krankheit und Tod.
    Mein Dad - Gott segne ihn - war ein guter Vater, ein großartiger Vater und ein wunderbarer Ehemann, doch nicht einmal er konnte es lange in ihrem Krankenzimmer aushalten, direkt neben ihrem Bett. Er kam für eine Stunde und benötigte anschließend zwei Tage, um sich zu erholen. Also blieb nur ich. Ich saß neben Mutters Bett, streichelte ihre Stirn, sang für sie und weinte mit ihr. Sie war zu Hause, wir hatten eine Pflegeschwester, doch ich brachte sie dazu, dass ich ihr bei den meisten Dingen helfen durfte. Mit meinen zwölf Jahren wechselte ich ihr die Windeln, und ich hasste diesen Augenblick genauso sehr, wie ich ihn liebte.
    »In den letzten Wochen ihres Lebens bettelte sie jeden Tag darum, manchmal zweimal am Tag, dass ich sie töte.«
    Töte mich, bitte töte mich, Liebes, töte mich, stöhnte sie, schrie
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