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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza
Autoren: Claudia Platz
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Plötzlich erinnerte er sich wieder an den Kerl, der an Anselms Tisch Platz genommen hatte, ein paar Worte mit ihm wechselte und ihm nachschaute, als der Mönch hoch in den Schlafsaal ging.
    Der Wirt suchte ihn unter seinen Gästen, aber er war nicht da. Das brachte ihn ins Grübeln. Sollte einer der beiden der Dieb sein? Oder steckten sie sogar gemeinsam unter einer Decke? Eigentlich konnte sich der Wirt nicht vorstellen, dass Anselm zu einem Verbrechen fähig war, er hatte einen ehrlichen Eindruck auf ihn gemacht. Aber er könntesich auch als Mönch getarnt haben, um ihn hinters Licht zu führen. Dieser Gedanke ließ ihn nicht mehr los und er eilte nach oben in den Schlafsaal.
    Als er die Tür öffnete, schlugen ihm die Ausdünstungen der vergangenen Nacht entgegen. Dämmriges Licht brach sich an Decke und Wänden. Um besser sehen zu können, schob er den schweren Stoff vor der Fensteröffnung zurück. Die gleißenden Strahlen der Wintersonne erhellten den Raum und schienen auf den Mönch, der friedlich schlummerte. Er hatte ihn zu Unrecht verdächtigt. Er beugte sich hinunter, um ihn an der Schulter zu schütteln. „Die Sonne steht schon hoch. Wach auf! Du wolltest doch früh nach Mainz aufbrechen.“
    Noch in der Berührung hielt er inne und zuckte zurück. Anselms Körper war kalt und steif, sein Gesicht unnatürlich blass, beinah wächsern. Er bedurfte keines Physicus um zu wissen, dass hier ein Toter lag. Den Wirt überkam augenblicklich das schlechte Gewissen. Jetzt erst fiel ihm auf, wie ausgehungert der Gottesmann aussah. Durch die Kutte zeichneten sich die knochigen Schultern ab. Warum hatte er ihm auch nur eine dünne Brotsuppe angeboten? Wenigstens ein Stück Speck hätte er noch dazulegen können, dann wäre er womöglich noch am Leben. Er bekreuzigte sich und betete ein Ave Maria.
    Dann hastete er die Treppe hinunter, um den Pfarrer holen zu lassen. Wenn Anselm schon unter seinem Dach gestorben war, sollte er wenigstens posthum das Sterbesakrament erhalten, damit er seinen Frieden fand. Seinen Gästen sagte er allerdings nicht, welchen Fund er im Schlafsaal gemacht hatte. Der Diebstahl war schon geschäftsschädigend genug.

Donnerstag, 13. Dezember 1095, 14. Tewet 4856
    Mainz
    Es war schon lange dunkel, als das Fuhrwerk den Jakobsberg hinauffuhr. Die Räder knirschten auf dem steinigen Untergrund und der Fuhrmann musste die lahmen Ochsen auf diesem letzten, steilen Stück durch laute Rufe antreiben. Rechts und links des Kutschbocks hingen zwei Laternen, die nicht nur die Dunkelheit, sondern auch ihre Furcht vertreiben sollten, denn die Fracht, die sie beförderten, behagte dem Kutscher ganz und gar nicht. Wenn er nur daran dachte, liefen ihm Schauer über seinen Rücken, die sich bis in die Spitzen seiner Zehen und Finger fortpflanzten. Man hatte ihm die doppelte Summe bieten müssen, damit er überhaupt bereit war, sie zu transportieren. Um Mainz möglichst schnell zu erreichen, forderte er die Zugtiere bis zur Erschöpfung und gönnte sich und seinem Begleiter kaum eine Pause. Inzwischen lagen die Vororte Vilzbach und Selenhofen hinter ihnen und das Kloster befand sich endlich in Sichtweite.
    Neben dem Gespann lief der Knecht des Wormser Herbergswirts, dem nicht sonderlich wohl bei seiner Aufgabe war. Auch ihm flößte die Ladung Unbehagen ein. Immer wieder warf er verstohlene Blicke über seine Schulter, um sich zu vergewissern, dass der Mönch auf der Ladefläche auch tatsächlich tot war und nicht plötzlich Hand an ihn legte.
    „Gleich sind wir da. Darüber bist du wohl mindestens so froh wie ich, oder?“, rief ihm der Fuhrmann zu.
    „Gott sei‘s gedankt!“, erwiderte er.
    Der Fuhrmann ahnte, dass der Bursche sich vor dem Schnitter genauso ängstigte wie er selbst und meinte deshalb mehr zu sich als zu ihm: „Der Tod ist nichtansteckend.“
    „Das sagst du so leicht dahin. Bist du dir dessen sicher? Ich mache jedenfalls einen großen Bogen um ihn, wenn ich kann. Und so wie du dreinschaust, tust du das auch.“
    Dem Kutscher blieb die Antwort erspart, denn vor ihnen tauchten die Mauern des Benediktinerklosters auf. Eine Seite lag im Schutz hoher Bäume, während am Hang zu seinen Füßen Weinreben wuchsen, deren kahle Stöcke im fahlen Mondlicht wie gebeugte Gerippe aussahen. Der nahe gelegene Eichelstein, ein Überrest aus der Zeit der Römer, ragte wie ein ausgestreckter Finger in den Nachthimmel empor und schien seine Betrachter zu ermahnen. Er war einst als Ehrenmal für den
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