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Das Blut von Magenza

Das Blut von Magenza

Titel: Das Blut von Magenza
Autoren: Claudia Platz
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anhaltender als zuvor. Hunderte taten es dem Bischof gleich und legten noch an Ort und Stelle den Schwur ab, das heilige Jerusalem dem Joch des Halbmondes zu entreißen.
    „Deus lo vult“ wurde zu ihrem Schlachtruf. Urban hatte sein Ziel erreicht. Die Gläubigen verschmolzen hier und jetzt zu einem gigantischen Organismus und redeten von Stund an mit einer Zunge. Sie waren bereit, für den einzig wahren Glauben zu kämpfen und auch für ihn zu sterben.
    Das Tor zum Morgenland war endlich aufgestoßen.

Hauptteil

Dienstag, 11. Dezember 1095, 12. Tewet 4856
    Nahe Worms
    Ein Laut weckte ihn. Heimlich, verstohlen, so leise wie das Tippeln von Mäusefüßen. Erschrocken setzte Bruder Anselm sich auf. Mondlicht fiel durch die notdürftig verhängte Fensteröffnung in den Schlafsaal, aber der Schein reichte nur knapp bis über seine Schlafstätte hinaus, sodass der Rest des Raumes im Dunkeln blieb. Er lauschte angestrengt, hörte aber nichts außer dem lauten Klopfen seines Herzens und dem Schnarchen der anderen Gäste. Sein Nachbar drehte sich um und furzte dabei leise. Ein Schwall fauliger Ausdünstungen schwappte hinüber zu Anselm, den er mit wedelnden Handbewegungen zu vertreiben versuchte. Aber diese Geräusche waren es nicht, die ihn aufgeschreckt hatten, sondern eher das Rascheln von Stoff. Oder waren es doch nackte Fußsohlen gewesen, die über den blanken Holzboden schlichen?
    Seine Hand wanderte zu seiner Börse, die er am Gürtel trug. Sie enthielt das Amulett mit der Abbildung der Gottesmutter, das ihm seine Mutter zum Abschied geschenkt hatte, als er in das Kloster eintrat. Es spendete ihm Trost und er beruhigte sich langsam. Als alles still blieb, legte er sich wieder hin. Seine Lider wurden schwer und er sagte sich, dass es wahrscheinlich nur ein schlechter Traum gewesen war. Seitdem der Ritter ihm auf dem Sterbebett ein Versprechen abgenommen hatte, sah er überall Gefahren lauern, wo es gar keine gab. Sobald er Mainz erreichte, würde er es einlösen, aber bis dahin waren es noch einige Fußmärsche.
    Plötzlich vernahm er das Geräusch wieder und Anselm erstarrte vor Angst. Er spürte, wie es aus der Schwärze des Zimmers auf ihn zukroch, erbarmungslos undunerbittlich. Seine Muskeln versteiften sich, und bevor er reagieren konnte, legte sich eine große, raue Männerhand auf seinen Mund und seine Nase, während sein Körper fest auf den Strohsack gepresst wurde. Anselms verzweifelte Abwehrversuche erwiesen sich als nutzlos, er konnte sich kaum bewegen, geschweige denn schreien oder atmen. Der andere war kräftiger und schwerer als er und zu allem entschlossen.
    Ausgerechnet an diesem profanen Ort, fernab seines geliebten Heimatklosters, in dem seine Mitbrüder auf ihn warteten, musste er sterben. Während die Luft in seinen Lungen immer knapper wurde, zogen die Erinnerungen seiner Wallfahrt an ihm vorüber. Wie eine Fata Morgana erstand die Heilige Stadt Rom mit ihren mächtigen Sakralbauten und den historischen Plätzen vor seinen Augen. Ein letztes Mal durchschritt er die sieben Pilgerkirchen, legte seine Beichte in San Pietro in Vaticano ab, pilgerte weiter zu St. Maria Maggiore, um dort die Mosaiken zu bestaunen, betrat die Krönungskirche der Päpste, San Giovanni in Laterano, der Santa Croce und San Lorenzo fuori le Mura folgten. Er sah sich im schwachen Lichtschein der Laternen am Grab des Apostels Paulus, das sich in San Paolo fuori le Mura befand, niederknien, bevor seine Reise schließlich in San Sebastiano endete.
    Nach und nach verblassten die Farben der Bilder, verloren ihre Kontur und lösten sich auf. Sein letzter Gedanke galt dem Geheimnis des Ritters, das er mit in jenen undurchdringlichen Nebel nahm, der ihn nun umfing.
    Wolff ließ erst von Anselm ab, als dieser kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Sein Todeskampf dauerte nur kurz und keiner der anderen Herbergsgäste hatte die Gräueltat bemerkt, die sich direkt neben ihren Lagern abspielte. Ernahm die Hand vom Gesicht des Mönchs, dessen Kopf schlaff zur Seite fiel. Die angstgeweiteten Augen des Toten starrten Wolff im fahlen Mondschein anklagend an. Er konnte ihren Anblick nicht ertragen und drückte die Lider zu.
    Eigentlich hatte Wolff ihn nicht töten wollen, denn er war ein Dieb und kein Mörder. Bisher war immer alles gut gegangen, wenn er nachts Reisende in Herbergen ausraubte. Doch dieses Mal hatte das Schicksal es anders gewollt. Anselm war aufgewacht und hätte ihn verraten und das durfte er nicht riskieren. Auch wenn er
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