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Das Blut Von Brooklyn

Das Blut Von Brooklyn

Titel: Das Blut Von Brooklyn
Autoren: Charlie Huston
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hilft. Und dass die Geschwüre in meinem Mund bald abheilen. Verstopfung kommt nur in einem von zehn Fällen vor, haben sie gesagt. Und dass ich genug Leukozyten für die Chemo habe und keine Angst vor Blutarmut haben muss. Ich bin gesund, haben sie gesagt. Richtig behandeltes HIV muss nicht zwangsläufig zu AIDS führen. Haben sie gesagt. Ich scheiß auf sie. Sie wissen gar nichts.
    Sie winkt der alten Frau zu.
    – Hey, sehe ich etwa aus, als hätte ich kein AIDS? Was meinen Sie, hä? Was für einen Scheiß haben sie Ihnen denn erzählt, bevor Sie hierher gekarrt wurden?
    Die alte Frau hat die Zeitschrift von ihrem Schoß genommen und hält sie vors Gesicht, verdeckt damit Evie und ihre hellvioletten Tumore, das schüttere Haar und die grauen Zähne.
    – Baby.
    – Was? Mach ich eine Szene? Bin ich dir peinlich, Joe? Willst du nicht mit mir gesehen werden? Dann musst du einfach nur abhauen.
    Ich richte mich auf, beuge mich vor und lege meinen Mund auf ihren.
    Sie küsst für einen Augenblick zurück, dann löst sie sich von mir.
    – Nicht.
    Ich lege die Fingerspitze auf eine der Entzündungen, die sich um ihren Mund herum gebildet haben.
    – Hast du Schmerzen?
    – Nein. Es ist nur so... eklig. Ich bin so eklig. Ich bin ein Scheißmonster.
    – Nicht mal annähernd, Baby.
    Ich küsse sie noch mal.
    Sie hustet, und ich schmecke Galle aus ihrem leeren Magen und Blut aus den Geschwüren in ihrer Lunge.
    Sie zieht sich wieder zurück.
    – Schale. Schale.
    Ich hole die Nierenschale aus Plastik hervor und halte sie ihr vor den Mund. Sie würgt ein paar Mal, aber nichts kommt.
    – Scheiße. Gottverdammte Scheiße.
    Ich stelle die Schale zur Seite.
    – Alles cool, Baby.
    Sie wendet sich ab.
    – Blödsinn. Nichts ist cool. Ich hab’s satt. Ich hab die ganze Scheiße hier so satt.
    – Das wird schon, Baby.
    – Ach ja? Das wird schon? Scheiße, du hast doch keine Ahnung.
    Sie rollt sich auf den Rücken und redet mit der Decke.
    – Hau ab, Joe.
    Ich haue nicht ab.
    Sie sieht mich an.
    – Scheiße, Joe. Wenn du nichts tun kannst, um mir zu helfen, dann verschwinde! Aber steh hier nicht rum und guck mich blöd an. Glaubst du, ich fühle mich besser, wenn ich deine traurige Fresse vor mir sehe? Mach was! Scheiße, Joe, tu irgendwas!
    Ich strecke den Arm aus.
    Sie schlägt mir auf die Hand.
    – Fass mich nicht an. Du hast versprochen, dass du auf mich aufpasst. Dann mach das auch! Scheißkerl. Arschloch! Du bist zu nichts gut! Ich bin krank. Ich sterbe, verdammte Scheiße, und du stehst hier nur rum. Du. Du. Bist dauernd auf Achse. Dein verdammter Job. Keine Zeit, um mir zu helfen. Alles, was du tust, ist, noch mehr Blut in mich reinzupumpen, damit es sich die Scheißkrankheit in mir so richtig gemütlich machen kann. Du bist keine Hilfe.
    Sie setzt sich auf. Das Pyjamaoberteil rutscht von einer ihrer knochigen Schultern und entblößt die blasse, mit Sommersprossen bedeckte Haut.
    Ich stehe mit hängenden Armen vor ihr.
    Sie zerrt an dem Schlauch in ihrer Armbeuge.
    – Scheiß drauf. Das hilft ja auch nichts. Nichts hilft mehr. Du auch nicht!
    Sie wirft mit der tropfenden Nadel nach mir.
    – Tu irgendwas! Rette mich, gottverdammt! Scheiße! Hilf mir.
    Die Schwester kommt rein, sieht sich die Bescherung an, schüttelt den Kopf und macht sich an die Arbeit.
    Evie fällt auf das Kissen zurück.
    – Siehst du, sogar diese Schlampe hier tut was. Räumt hinter mir her. Bringt mir diesen Drecksfraß, den ich sowieso nicht runterkriege. Wenn ich scheißen könnte, würde sie mir wahrscheinlich sogar den Arsch wischen.
    Die Schwester blickt erst mich an und dann zur Tür.
    Ich betrachte Evies Füße, die unter der Decke hervorlugen.
    – Ich komme morgen wieder.
    Sie legt die Hände aufs Gesicht.
    – Gott. Ich will allein sein. Bitte, lass mich. Lass mich in Ruhe. Ich will nicht mehr. Ich will über niemanden mehr nachdenken müssen. Lass mich in Ruhe, Joe. Lass mich in Ruhe sterben. Hau ab. Hau einfach ab.
    Die Schwester dreht sich zu mir um, legt eine Hand auf meinen Arm und deutet auf die Tür.
    Ich stelle mir vor, wie ich meine Hände um ihren Kopf lege, ihr mit einem Ruck das Genick breche und dabei ins Gesicht spucke.
    Als ich gehe, späht die alte Frau hinter ihrer Zeitschrift hervor und schüttelt den Kopf.
     
    Draußen zünde ich mir eine Lucky an und beobachte die Leute, die von einem langen Arbeitstag zurückkehren oder unterwegs sind, um sich ins Nachtleben zu stürzen. Schließlich ist es Freitagabend, da
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