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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie
Autoren: Jennifer Donnelly
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Kein
lärmiger Mischmasch mehr.
    Als wir zu Hause waren, umarmte sie mich, weinte, und sagte,
wie leid es ihr täte, dass sie so verrückt gewesen sei. Aber ich sei während
der ganzen Zeit ihr eisernes Band gewesen. Das sei mir doch hoffentlich klar.
    Jetzt teilen wir uns eine Wohnung, sie und ich, eine
Dreizimmerwohnung in Belleville. Es geht ihr besser. Sie hat ihre schlechten
Tage, aber das eiserne Band hält. Sie malt wieder – Stillleben, keine Porträts
mehr. Manchmal gibt es Hinweise auf Truman in den Bildern: etwa ein
Federmesser, das ihm gehörte, eine Vogelfeder, die er einmal fand, oder seinen
Schlüssel – denjenigen, den ich um den Hals getragen habe. Ich trage ihn nicht
mehr. Er liegt jetzt in einem Kästchen auf unserem Kaminsims, und ich nehme ihn
nur ab und zu heraus, um ihn anzusehen. Truman ist jetzt ein Teil des Bildes,
nicht mehr das ganze Bild. Inzwischen gibt es Raum für andere Dinge im Leben
meiner Mutter. Raum für mich. Was schön ist. Weil ich sie jetzt brauche. Ich
habe wirklich viel zu tun.
    Ich habe meinen Abschluss in St. Anselm gemacht – zum größten
Erstaunen aller. Nach dieser Abschlussarbeit. Nach dieser These – der ganzen Sache
mit der musikalischen DNA – und vor allem nach
dieser Schlussfolgerung, in der ich behaupte, der Komponist Amadé Malherbeau
sei in Wirklichkeit ein Mann namens Charles-Antoine, Graf von Auvergne,
gewesen, und sein bahnbrechender Einsatz von Moll-Akkorden und Dissonanzen
rühre von dem Schmerz über den Tod seiner Eltern her, des Grafen und der Gräfin
von Auvergne, die von den Revolutionären hingerichtet worden waren.
    Ich stellte zudem die Behauptung auf, dass der Titel für sein
Konzert in a-Moll – das Feuerwerkskonzert – von dem selbstlosen Handeln einer jungen Frau namens Alexandrine Paradis
inspiriert worden wär, die in den letzten Tagen der Revolution Feuerwerke über
Paris gezündet und ein Tagebuch hinterlassen hätte.
    Ich konnte schließlich kaum erwähnen, dass Amadé Malherbeau
dieses Konzert verfasst hatte, nachdem er auf meinem iPod Led Zeppelin gehört
hatte.
    Meine Abschlussarbeit und Alex’ Tagebuch – beides erzeugte
großes Rauschen im Blätterwald. Noch bevor ich die Arbeit abgab, wurde ich von Le Monde ,
der Zeit, dem Guardian und
einer Menge anderer internationaler Zeitungeninterviewt. Die New York Times brachte
einen Artikel mit der Überschrift: Teenager-Spürnase löst Malherbeau-Rätsel. Der
Artikel war nett, aber die Überschrift irgendwie peinlich. Vijay macht sich
noch immer lustig über mich.
    Und so trug sich alles zu: Als mich Virgil in den frühen
Morgenstunden – nach einem Stopp in einer Pariser Unfallstation – nach Hause
brachte, erzählte ich meinem Vater und G. und Lili, die alle ziemlich außer sich
waren, dass ich am Eiffelturm gestolpert und hingefallen sei. Am nächsten Tag,
nachdem ich ausgeschlafen und mich ein wenig erholt hatte, gab ich G. das
Tagebuch. Ich zeigte ihm das Geheimfach in dem Gitarrenkoffer und die Miniatur
von Louis Charles. Und ich erzählte ihm von den Rosen in Malherbeaus Porträt,
und wie sehr sie der Rose im Wappen der Grafen von Auvergne glichen. Ich sagte
ihm, meiner Ansicht nach könnte Amadé Malherbeau tatsächlich Charles-Antoine
von Auvergne sein.
    G. war natürlich total von den Socken und las das Tagebuch
sofort. Er ging zu Amadés altem Haus, um sich das Porträt anzusehen. Er machte
Fotos davon und verglich sie mit dem Wappen. Ein paar Tage später fuhr ich mit
ihm in die Auvergne, und wir klopften an die Tür eines alten Schlosses. Wir
stellten uns der älteren Dame vor, die uns öffnete, und G. erklärte, dass wir
zwischen dem letzten Grafen von Auvergne und dem Komponisten Amadé Malherbeau
eine Verbindung vermuteten und daher gern wissen wollten, ob es im Schloss noch
irgendwelche persönlichen Gegenstände des hingerichteten Grafenpaars gebe.
    Die Dame, Madame Giscard, bat uns hinein. Sie erzählte, dass
einer ihrer Vorfahren das Schloss 1814 von einem jakobinischen Beamten gekauft
habe, der es sich während der Revolution angeeignet hatte. Sie sagte, im späten
neunzehnten Jahrhundert seien die Heizung und die sanitären Anlagen
installiert, aber sonst kaum etwas verändert worden. Dann führte sie uns in das
große Foyer und zeigte uns mehrere Porträts, die, seit sie denken konnte, dort
hingen.
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