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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie
Autoren: Jennifer Donnelly
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sind.
    Die Tür nach draußen ist versperrt, aber Amadé findet den
Schlüssel, der an der Wand daneben hängt. Er steckt ihn ins Schloss, dreht ihn
herum und will die Tür gerade öffnen, als er mich ansieht. Blut ist durch
meinen Mantel gesickert.
    Â»Stützen Sie sich auf mich«, sagt er.
    Wir gehen hinaus, er verschließt die Tür, steckt den
Schlüssel ein und führt mich schnell in jenen Hof, wo wegen der Schreie des
Mädchens eine Menschenmenge zusammengeströmt ist.
    Â»Der Grüne Mann ist da! Da oben!«, schreit Amadé und deutet
zu den Mansarden hinauf. »Er hat meinen Freund hier angeschossen! Jetzt
ermordet er ein Mädchen! Helfen Sie ihr! Jemand muss ihr zu Hilfe kommen!«
    Die Leute keuchen und schreien. Zeigen zu dem beleuchteten
Fenster hinauf. Wachen rücken mit dem Gewehr im Anschlag durch eine Passage in
den Innenhof vor.
    Â»Er bringt sie um!«, ruft eine Frau. »Rettet sie!«
    Â»Der Grüne Mann!«, schreit ein anderer. »Dort droben!«
    Eine der Wachen probiert bereits, die Tür des Juwelierladens
zu öffnen. Er hämmert dagegen. Dann bedeutet er seinen Männern, sie
einzuschlagen. Amadé und ich schieben uns weiter durch die Menge. »Zur Seite!
Zur Seite!«, ruft Amadé. »Mein Freund braucht einen Arzt!« Wir gehen durch jene
Passage, durch die die Wachen soeben vorgerückt sind, und entkommen so aus dem
Palais.
    Wir fliehen nach Osten. Er will mich zu seiner Bleibe bringen
und eine Frau rufen, die meine Wunde behandeln soll, sobald wir dort angelangt
sind. Doch als wir in die Rue Saint-Honoré einbiegen, entdecken wir lauter
Gardisten auf der Straße.
    Â»Amadé, hier kommen wir nicht durch. Lassen Sie mich zurück.«
    Â»Nein! Ich werde Sie nicht auf der Straße zurücklassen!« Er
packt meinen Arm und schickt sich an umzukehren.
    Ich schüttle ihn ab. »Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht.«
    Â»Nur noch ein kleines Stückchen. Es gibt noch einen anderen
Ort, an den ich Sie bringen kann«, sagt er. »Einen Ort, an dem man nicht nach
Ihnen suchen wird.«
    Â»Wo?«
    Â»In dem Katakomben. Das ist ein guter Ort, um sich zu
verstecken.«
    Ja, das stimmt. Und ein noch besserer, um zu sterben.
    Â Â 85  
    Zurück durch die Kirche.
    Zurück durch die Krypta.
    Zurück zu dem Grab.
    Halb zerrt mich Amadé, halb trägt er mich die Steinstufen
    hinab und durch die Tunnel an den traurigen und stillen Toten vorbei.
    Wir stolpern weiter im Licht einer Laterne, die wir aus der
Kirche entwendet haben, die weißen Steinhallen hinunter, immer tiefer in die
Katakomben, immer tiefer in die Unterwelt hinein. Bis er endlich innehält und
mich absetzt. Dann kniet er neben mir nieder.
    Â»Haben Sie Ihr Licht dabei?«, fragt er mich.
    Â»Ja.« Es ist in meinem Stiefel. Ich ziehe es heraus. Schalte
es an. Der Strahl ist nur noch ganz schwach.
    Â»Ich komme mit Hilfe zurück, sobald ich kann. Ich hole die
Frau, sie wird Ihnen helfen.«
    Ich nicke, aber ich glaube ihm nicht. Er glaubt genauso wenig
daran.
    Â»Wenn man Sie fragt, sagen Sie, ich hätte eine Pistole
gehabt«, erkläre ich ihm. »Sagen Sie, ich hätte sie Ihnen an den Rücken
gehalten. Und dass Sie geflüchtet seien, als Sie konnten.«
    Â»Das glauben die mir nie. Sie werden mich ins Gefängnis
werfen.«
    Â»Es wird funktionieren. Es funktioniert, Amadé. Genau wie der
Tritonus und a-Moll. Vergessen Sie das nicht. Jimmy Page braucht Sie. Die Welt
wäre nicht dieselbe ohne Stairway .«
Stöhnend vor Schmerz beuge ich mich vor und küsse ihn auf die Wange. »Danke«,
sage ich und sacke wieder gegen die Wand zurück.
    Er nimmt die Laterne, als wollte er gehen, dann stellt er sie
wieder ab.
    Â»Ich habe heute Musik geschrieben. Wussten Sie das?«, fragt
er. »Sie war gut. Besser als alles, was ich je komponiert habe. Es wird ein
Konzert. In a-Moll. Ich schrieb es wegen der Feuerwerke. Weil sie mir Licht
gaben. Und Hoffnung. Weil auch die Feuerwerke eigentlich undenkbar waren.«
    Â»Das Feuerwerkskonzert «,
flüstere ich lächelnd.
    Â»Warum haben Sie das getan?«, fragt er verzweifelt mit Tränen
in den Augen. »Warum haben Sie Ihr Leben für nichts hingegeben? Der Junge wird
sterben. Das sagten Sie selbst. Jetzt werden Sie es auch. Und ich vermutlich
ebenso. Wenn die Wachen mich erwischen, bin ich ein toter Mann. Und wofür? Was
haben Sie
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