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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie
Autoren: Jennifer Donnelly
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die in meinem Stiefel
steckt.
    Ich höre Schritte. Es ist der Gardist. Ganz sicher. Er wird
mich wegschleppen, ich bin ihm hilflos ausgeliefert. Mir fehlt die Kraft, mich
zu verstecken. Ich schließe die Augen und warte. Die Schritte kommen näher. Der
Mann betritt den Raum und bleibt stehen.
    Â»Mein Gott. Was haben Sie getan?«
    Ich öffne die Augen. Es ist Amadé.
    Â»Ich wollte ihm helfen«, sage ich.
    Â»Sie dummer, dummer Narr.« Er kniet nieder, macht meine Jacke
auf. »Sie sind noch am Leben?«
    Â»Ich glaube schon.«
    Â»Dann müssen Sie aufstehen. Jetzt. Die Wache kommt.«
    Â»Ich kann nicht.«
    Amadé nimmt meine Arme und stellte mich auf die Füße. Ich
schreie auf.
    Â»Stehen Sie aufrecht!«, brüllt er mich an.
    Ich gehorche und spüre, wie Blut aus der Wunde sickert.
    Er legt meinen Arm um seinen Hals. Wir humpeln aus dem
Speisesaal zum Foyer.
    Â»Die Tür ist verschlossen«, erkläre ich ihm.
    Â»Vielleicht ist irgendwo ein Schlüssel«, erwidert er. Wir
hasten weiter.
    Â»Wie haben Sie mich gefunden?«, frage ich.
    Â»Ich ging zum Essen ins Foy. Dort herrschte helle Aufruhr. Im
Lokal, in der Küche, auf der Straße. Ich fragte Luc, was passiert sei. Er
sagte, Benoît habe Sie in den Keller huschen sehen. Sie hätten geblutet, und er
habe behauptet, Sie seien der Grünen Mann. Er ist losgerannt, um die Wachen zu
rufen.«
    Â»Und Sie sind durch den Keller gekommen, um nach mir zu
suchen?«
    Â»Ja. Und habe die ganze Zeit gerufen, ich würde Sie
höchstpersönlich zu Bonaparte schleppen, um die Häscher zum Narren zu halten.
Luc hatte Angst mitzukommen. Er glaubt, Sie seien bewaffnet. Er sagt …«
    In dem Moment hören wir es. Das Trommeln gegen die Tür. Laut
und beharrlich. Und dann das Geräusch von splitterndem Holz.
    Amadé flucht. »Es sind die Wachen«, sagt er. »Wir müssen
zurück. Schnell!«
    Er zerrt mich durch all die Säle zurück und versperrt jede
Tür hinter uns.
    Â»Sie haben eine Axt. Eine versperrte Tür wird sie nicht
aufhalten«, sage ich.
    Â»Aber sie kommen langsamer voran.«
    Â»Wir werden nicht rauskommen. Auch nicht nach unten.«
    Â»Dann gehen wir nach oben.«
    Zurück durch den Ballsaal, die Bibliothek, das Spielzimmer,
den Speisesaal und eine Treppe hinauf. Dann noch eine. Und noch eine. Blut
sickert in meine Kleider.
    Wir hören Rufe von unten. Die Wachen sind da. Wir sind im
obersten Stockwerk angekommen. In den Mansardenkammern. Amadé lässt mich los
und ich sacke zu Boden, während er durch Räume und Flure rennt, auf der Suche
nach einem Verbindungsgang, einer Geheimtür, einem Ausweg aus den Gemächern des
Herzogs in die Wohnung seiner Nachbarn hinüber. Und die ganze Zeit kann ich
hören, wie Befehle gebrüllt und Türen eingeschlagen werden.
    Amadé kommt zurück. »Ich kann nichts finden. Keinen
Fluchtweg«, sagt er keuchend und schlägt sich mit den Handballen an die Stirn.
Schritte. Er zerrt mich wieder hoch und schleppt mich in den angrenzenden Raum.
Alex’ Kammer.
    Â»Wir klettern aus dem Fenster. Aufs Dach. Sie sind doch auf
Dächern zu Hause, nicht wahr?«
    Â»Ich kann nicht, Amadé. Gehen Sie allein. Gehen Sie!«
    Aber er hört nicht zu. Er öffnet das Fenster und beugt sich
hinaus. »Endlich ein bisschen Glück«, sagt er und zieht mich hinter sich auf
einen schmalen Balkon hinaus, der den gesamten Flügel entlang verlauft. Es ist
nicht mehr als ein schmaler Steg. Ich kann den Hof unten sehen, einen Innenhof
des Palais. Ich sehe Leute, aber sie sehen uns nicht. Noch nicht. Amadé hockt
sich nieder, zwingt mich, ebenfalls in die Hocke zu gehen, und ich meine,
umzukommen vor Schmerz.
    Wir laufen den Balkon weiter entlang, an langen Fensterreihen
vorbei, bis ans Ende des Flügels. Hier geht es um eine Ecke, und es folgt ein
weiterer Flügel mit identischen Mansardenfenstern. In einem brennt Licht.
    Ich schwinge die Beine über das Balkongitter, springe hinüber
und komme keuchend auf. Amadé folgt mir, und wir laufen schnell auf das
erleuchtete Fenster zu. Es ist offen. Amadé steigt hinein. Ich hinterher. Ein
Mädchen im Nachthemd wäscht sich das Gesicht über einer Schüssel. Sie sieht uns
und schreit. Wir hasten an ihr vorbei, aus dem Zimmer hinaus, endlos lange
Treppen hinab, bis wir im Erdgeschoss, in einem Juwelierladen, angekommen
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