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Das Blut der Lilie

Titel: Das Blut der Lilie
Autoren: Jennifer Donnelly
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G. erkannte einige der abgebildeten Persönlichkeiten auf Anhieb, etwa
Ludwig XIV. und Napoléon Bonaparte.
    Während G. die Gemälde an der einen Wand inspizierte,
betrachtete ich die an der anderen. Ich sah viele Gesichter, die mir unbekannt
waren, und dann, rechts neben einem großen Kamin, entdeckte ich eines, das ich
kannte – Amadé. Er saß auf einem Stuhl und spielte Gitarre. Neben ihm, an einem
Tisch sitzend und schreibend, war dieselbe Frau, die ich auf der Miniatur
gesehen hatte – seine Mutter. Hinter den beiden, an einem Fenster, das Ausblick
auf liebliche Felder und Hügel bot, stand sein Vater, der Graf von Auverne. Mit
einer roten Rose in der Hand.
    Es war schön, Amadé wiederzusehen.
    Mit Erlaubnis von Madame Giscard zog G. einen Kunsthistoriker
des Louvre hinzu. Der Mann untersuchte die beiden Bilder – das im Schloss und
das in Amadés Haus am Bois de Boulogne – und stellte fest, dass es sich seiner
Meinung nach um dieselben drei abgebildeten Personen handelte.
    Madame Giscard ließ G. auch auf dem Dachboden herumstöbern.
Er fand Papiere des Grafen von Auvergne – darunter Rechnungsbücher, die
Honorare verschiedener Musiklehrer für den Unterricht seines Sohnes
verzeichneten, eine Quittung für das Porträt im Schloss und frühe Kompositionen
des jungen Charles-Antoine – die verblüffende Ähnlichkeit mit den frühen Werken
von Amadé Malherbeau aufwiesen.
    Musikwissenschaftler aus Yale, Oxford und Bonn kamen, um sich
mit G. zu beraten, das Tagebuch anzusehen und den Dachboden in der Auvergne
noch genauer unter die Lupe zu nehmen. G. wird Alex’ Tagebuch in die
Ausstellung über Louis Charles in seinem Museum aufnehmen. Darüber bin ich
froh. Sie wollte, dass die Welt erfuhr, was geschehen war. Und das wird jetzt
geschehen.
    Ich bekam zwar am Schluss keinen Filmvertrag wie Bender, aber
eine Eins plus. Beezie höchstpersönlich las meine Arbeit. Sie sagte, sie sei
hervorragend, und meine Darstellung von Malherbeaus Einfluss auf moderne
Musiker faszinierend. Insbesondere gefiel ihr mein Hinweis auf die harmonischen
Parallelen zwischen Malherbeaus Konzert in a-Moll und Stairway to Heaven . Sie meinte,
Amadé Malherbeau werde in meiner Arbeit so lebendig, dass man glauben könnte,
ich hätte ihn gekannt.
    Ach ja.
    Die Abschlussfeier ließ ich ausfallen, was ich inzwischen
fast bereue. Wie ich hörte, war es ziemliches Spektakel. Nick war so betrunken,
dass er von der Bühne fiel. Was den Präsidenten der Vereinigten Staaten
ziemlich schockierte, der ebenfalls zugegen war, da er sich wegen einer
Spendengala zufällig in Brooklyn aufhielt und Vijay kennenlernen wollte. Mrs.
Gupta hatte ihm eine Kopie von Vijays Abschlussarbeit geschickt, und er war
begeistert. Er möchte, dass V. während der Harvard-Sommerferien im Weißen Haus
ein Praktikum macht.
    Ich bekam mein Zeugnis von Nathan. Er brachte es persönlich
zu mir nach Hause. Wir spielten stundenlang Bach zusammen. Er schenkte mir
seine Hauser. Ich sagte ihm, dass ich eine solche Gitarre nicht verdiente.
»Nein«, antwortete er, »das tust du nicht, aber du wirst es irgendwann.«
    Ich bewarb mich am Pariser Konservatorium und wurde
angenommen. Ich studiere bei hervorragenden Lehrern, um einen Abschluss in
klassischer und zeitgenössischer Musik zu machen. Wenn ich nicht in der
Hochschule bin, leiste ich freiwillige Arbeit bei einer Gruppe von Musiktherapeuten,
die traumatisierten Kindern dabei helfen, mit Klängen auszudrücken, was sie mit
Worten nicht können.
    Jetzt biege ich endlich in die Rue Oberkampf ein und halte
vor dem Remy’s. Ich schalte den Motor aus, nehme meinen Helm ab und eile hinein.
Das Lokal ist warm, verraucht und gut gefüllt. Wir haben volles Haus. Jeden
Mittwoch und Sonntag. Ich bahne mir einen Weg durch die Menge, sehe in
Gesichter, suche nach jemandem.
    Und dann sehe ich ihn. Einen großen dürren Typen. Er
tätschelt Remys Glatze und lacht. Virgil. Mein Herz macht einen Satz. Das hört
sich zwar kitschig an, ist aber die reine Wahrheit. Seit ich nach Paris gezogen
bin, sind wir unzertrennlich.
    Damals, am Tag nach unserem Ausflug in die Katakomben, gingen
Virgil und ich aus. Ich zeigte ihm Alex’ Tagebuch und er las ein Stück darin.
Er verstand die Verbindung, die ich zu ihr spürte, eine Verbindung, die ich
immer noch spüre, aber er nahm mir meinen Trip ins achtzehnte
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