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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
Autoren: Sandra Konrad
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Jonathan, unser Sorgenkind. Er hat ganz schöne Probleme in der Schule, da mach ich mir oft Gedanken, was aus ihm wird. Er war schon immer etwas schwierig vom Charakter her, nicht so leicht zu lenken wie die Mädchen. Aber er ist ein toller Kerl, bringt Höchstleistungen im Sport, wir spielen gern Tennis miteinander, bald werde ich nicht mehr mit ihm mithalten können. Und da unten ist unsere Kleinste, die Mirjam. Klein, aber oho. Das ist die Cleverste von allen. Ein echter Sonnenschein dazu. Die wird mal die Welt regieren.«
    Solche Beschreibungen und Zuschreibungen sind normal und wichtig, da sie den Familienmitgliedern einen Spiegel vorhalten, durch den sie sich gesehen und manchmal auch herausgefordert fühlen. Problematisch werden solche Zuschreibungen dann, wenn sie starr und unveränderlich bleiben: Wenn Jonathan in der Schule nächstes Jahr bessere Leistungen erbringt und von seinen Eltern immer noch als Sorgenkind dargestellt wird. Wenn Sarah abends, wie die meisten 18-Jährigen, lieber ausgehen möchte, als auf ihre Geschwister aufzupassen, und die Eltern ihr Vorwürfe machen, weil sie früher viel familienorientierter war. Oder wenn der Sonnenschein der Familie für alle anderen strahlen muss, auch wenn Mirjam selbst gar nicht danach ist. Wenn Eltern blind für solche Veränderungen sind und ihre Kinder stattdessen in ihren alten Rollen fixieren wollen, fühlen Kinder sich nicht gesehen und nicht verstanden. Gelingt es den Eltern aber, angemessen zu reagieren, nämlich sich auf Veränderungen einzustellen und auch ihre Zuschreibungen dementsprechend zu verändern, lernen Kinder, dass es in ihrer Familie Raum für Veränderungen und Entwicklungen gibt. So können sie sich frei entfalten und neue Facetten ihrer Persönlichkeit ausprobieren, ohne mit Unverständnis oder gar Sanktionen rechnen zu müssen.
    Das Gegenteil einer gesunden, anpassungsfähigen Familie beschreibt Pat Conroy in seinem Roman Die Herren der Insel . Der Roman, der als Vorlage für den Kinofilm Herr der Gezeiten diente, gibt Einblicke in eine zerstörerische familiäre Dynamik, in der die Kinder langfristig Opfer einer starren Rollenverteilung und der damit verbundenen Erfahrungen bleiben. Die Geschichte wird aus Sicht des jüngsten Sohnes Tom erzählt, der versucht, das familiäre Vermächtnis zu verstehen, welches ihn selbst, seinen älteren Bruder Luke und seine kranke Schwester Savannah noch im Erwachsenenalter belastet:
    »Ich lag da und grübelte darüber nach, wie wir alle in diese Lage geraten waren, wie viel Gutes und Schlechtes uns unsere Kindheit […] gebracht hatte und welche unabweisliche, unentrinnbare Rolle jeder von uns im grotesken Melodram unserer Familie spielte.«
    Luke, der Älteste, gilt als schlichtes, aber starkes Gemüt mit einem ausgeprägten Sinn für Recht und Unrecht. Als Erstgeborener war er derjenige, dem die plötzlichen Wutanfälle und Schläge des Vaters am häufigsten galten, und er tat alles dafür, um seine jüngeren Geschwister vor dem unberechenbaren Vater zu schützen. Doch Lukes vermeintliche Stärke macht ihn nicht unangreifbar, wie Tom erkennt:
    »Es fiel mir schwer, den Schaden zu ermessen, das Gesamtmaß des Leides zu benennen, das Luke durch seinen Platz innerhalb unserer Familie erwachsen war. […] Seine Verletzungen waren alle innerlich.«
    Im Gegensatz zu ihrem Bruder Luke leidet Savannah sehr deutlich unter ihrer Kindheit und entwickelt schwere Depressionen. Früh flieht sie in Kreativität, die ihr ermöglicht, einen Teil der negativen familiären Energien umzuwandeln oder zumindest abzuleiten. Weit weg von der Küste South Carolinas und ihrer Familie feiert sie in New York mit Anfang 20 erste Erfolge als Lyrikerin – trotzdem ist sie nicht befreit von den familiären Bürden:
    »Von klein auf war es Savannah bestimmt gewesen, in sich die ganze Last der psychotischen Energien unserer Familie zu tragen. Mit ihrer hellwachen Empfindsamkeit war sie besonders empfänglich für die stets latente Gewalt und Lieblosigkeit in unserer Familie, und so benutzten wir sie als Schuttabladeplatz für unsere Verbitterung und Gehässigkeit. Mir war jetzt alles klar: Ein Familienmitglied war mittels eines ebenso willkürlichen wie verhängnisvollen Auswahlverfahrens in die Rolle der Geistesgestörten gedrängt worden, und so hatten sich alle Familienneurosen, alle Wildheit und alles unbewältigte Leid wie eine Staubschicht über die äußerst empfindsame und verletzliche Seele unserer Schwester
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