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Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)

Titel: Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten (German Edition)
Autoren: Sandra Konrad
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dass man in allen weiteren Beziehungen immer wieder unversehens in die Rolle des sich zurücknehmenden Kindes rutscht, während man sich eigentlich heimlich wünscht, einmal die Nummer eins zu sein. Das in der Kindheit erlebte Zuwenig an elterlicher Aufmerksamkeit und Fürsorge könnte auch in der Beziehung zu den eigenen Kindern spürbar sein. »Ich schäme mich dafür, aber wenn mein Sohn krank ist und nicht aufhört zu quengeln, dann kriege ich manchmal eine solche Wut auf ihn! Heute weiß ich, dass das meine alten Gefühle sind. Dass ich in solchen Situationen in null Komma nichts in meine Kindheit gebeamt werde und als kleine Susanne meinem älteren Bruder gegenüberstehe. Da vermischen sich manchmal die Bilder.«
    Susanne hatte sich einen älteren Bruder gewünscht, der mit ihr spielt, ihr Dinge beibringt, sie beschützt. Stattdessen war Uli schwach und krank, und sie musste die Rolle der älteren, vernünftigen Schwester einnehmen. Niemand in Susannes Familie hatte sich so ein Familienleben, geprägt durch Ulis Krankheit, ausgesucht. Jeder Einzelne war gezwungen, von seinen Vorstellungen abzurücken und sich den Bedürfnissen des kranken Kindes anzupassen. Liebe, Verantwortung und Loyalität hielten alle davon ab, aus den teilweise sehr unangenehmen neuen Rollenvorgaben auszubrechen – auch noch dann, als die Kinder längst erwachsen waren.
    Wir sehen: Rollen werden von der Familie und manchmal auch vom Leben übergeben. Nicht immer sind sie maßgeschneidert für uns oder einfach auszufüllen. Manchmal können wir in sie hineinwachsen. Und manchmal, wenn sie zu groß oder zu eng sind, wir nicht aus ihnen aussteigen dürfen oder können, zerbrechen wir an ihnen.
    Verkehrte Welt – Wenn Kinder Elternrollen übernehmen
    » Ich war nun elf, zwölf, dreizehn Jahre alt. Ich war ihre Freundin […], und ich kümmerte mich um sie, beschützte sie, sorgte dafür, dass ihre Stimmung nicht so weit abrutschte, dass die Familie oder ihre Ärzte eingreifen mussten. Mit der großartigen Phantasie
meiner selbst als ihrem Rettungsanker bürdete ich mir eine schwere Verantwortung auf. Was, wenn ich versagte? «
    LINDA GRAY SEXTON , Auf der Suche nach
meiner Mutter
    Wenn Eltern ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, kommt es oft zu einer sogenannten Rollenumkehr: Kinder schlüpfen in die Elternrolle und versorgen ihre Eltern. Die achtjährige Laura wacht nachts im Bett ihrer Mutter, die nicht schlafen kann, weil ihr Mann bei seiner Geliebten ist. »Schlaf ein, Mami, Papa kommt bestimmt gleich wieder«, versucht Laura ihre Mutter zu trösten. Der sechsjährige Alexander weckt den Vater, der betrunken auf dem Sofa liegt, und fleht ihn an, mit dem Trinken aufzuhören.
    Der zwölfjährige Marcus, Nick Hornbys Protagonist aus dem Roman About a Boy , versucht sich gegen solch eine Rollenumkehr zu wehren. Er macht sich Sorgen um seine depressive Mutter, die den halben Tag lang zitternd, in einen Mantel gehüllt, Zeichentrickfilme ansieht und dabei ohne ersichtlichen Grund weint.
    »Das war nicht in Ordnung. Er war noch ein Kind. […] Irgendetwas musste passieren. In der Schule war es beschissen, und zu Hause war es beschissen, und da Schule und Zuhause so ziemlich alles waren, was es für ihn gab, bedeutete das, dass es die ganze Zeit beschissen war, außer, wenn er schlief. Irgendwer würde was dagegen unternehmen müssen, denn er selbst konnte nichts dagegen unternehmen, und er konnte niemanden sehen, der dafür infrage kam, außer der Frau unter dem Mantel.«
    Marcus weist seine Mutter auf ihre Verantwortung hin und versucht die Rollen klarzustellen:
    »›Wenn du dich nicht ordentlich um mich kümmern kannst, musst du jemanden finden, der es kann. […] Das Einzige, was du für mich tust, ist kochen, und das könnte ich auch. Den Rest der Zeit heulst du bloß. Das ist … das ist nicht gut. Das ist nicht gut für mich.‹ Sie weinte noch heftiger, und er ließ sie weinen.«
    Marcus versucht sich selbst zu helfen, indem er sich einen erwachsenen Freund sucht, bei dem er vor der Realität flüchtet. Die Sorge um seine Mutter bleibt.
    Von der Sorge um ihre Mutter berichtet auch die heute über 60-jährige Batya, die ich im Rahmen meiner Doktorarbeit über die mehrgenerationalen Auswirkungen des Holocaust interviewte. Batya ist Tochter einer Holocaust-Überlebenden, die von der Verfolgung und ihren Jahren im Konzentrationslager schwer traumatisiert war. Als Kind half es Batya, sich außerhalb ihres Zuhauses Unterstützung zu
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