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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen
Autoren: Monika Feth
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Vielleicht wäre La Lune zurückgekehrt. Sie wünschte sich, der letzte Teil des Traums wäre Wirklichkeit. Dann wäre sie frei.
    Aber die Wirklichkeit war anders. Mara befand sich im Strafhaus und würde einen langen Monat dort bleiben müssen. Ohne Jana. Ohne Gespräche mit ihr. Ohne ein Gespräch mit irgendjemandem außer den Gesetzesfrauen und die waren alles andre als gesprächig.
    Die Nacht war vergangen. Mara hatte im Sitzen vor sich hin gedöst. Jetzt fühlte sie sich müde und zerschlagen. Die ersten Geräusche wurden wach. Das kalte Licht des Morgens sickerte ins Zimmer. Die Welt gehörte den Vogelstimmen, die anders klangen als am Tag, irgendwie hohl, als würden sie von irgendwem nur nachgemacht.
    Vielleicht werde ich allmählich verrückt, dachte Mara. Wer sollte denn die Stimmen von Vögeln nachmachen? Sie hatte plötzlich Sehnsucht nach der Musik, die sie im Traum gehört hatte. Und nach ihrer Mutter.
    Sehnsucht nach den Eltern war streng verboten. Obwohl sie ebenfalls Kinder des Mondes waren. Sehnsucht überhaupt war verboten. Bedeutete sie nicht, dass man nicht glücklich und zufrieden war? Kinder des Mondes waren aber glückliche, zufriedene Menschen.
    Mara versuchte, den Traum zu vergessen. Sie wusste nicht genau, was er verriet, aber sie ahnte, dass er zu viel preisgab und das war nicht gut für sie. Solche Träume durfte sie nicht haben, Träume vom Nacktsein, von fremden Männern. Und dann das Kleid auf dem goldenen Bügel! Die Flucht!
    »Ich habe nicht geträumt«, flüsterte Mara. »Ich habe nicht geträumt.«
    Erschrocken sah sie nach oben, suchte im grauen Dämmerlicht Decke und Wände ab. Vielleicht konnten sie draußen hören, was sie sagte?
    Ihre Augen fanden nichts Verdächtiges, aber vorsichtshalber dachte sie von jetzt an nur noch: Ich habe nicht geträumt, nicht geträumt, nicht geträumt.
    Als die Gesetzesfrauen sie zum Morgengebet abholten, war sie so erleichtert, dass sie ihnen am liebsten um den Hals gefallen wäre.

    Die Tür knarrte und alle Gesichter wandten sich ihr zu. Jana wurde rot und ärgerte sich darüber. Was war denn schon dabei, sich eine Minute zu verspäten? Selbst La Lune passierte das hin und wieder. Dann war sie, wie sie erklärte, von einer Inspiration aufgehalten worden. Gut, dachte Jana, hatte ich eben auch eine Inspiration. Sie hob trotzig den Kopf und ging zu ihrem Platz.
    Jeden Morgen hatte sie Mühe, das Gebet zu überstehen, weil sie so hungrig war, dass ihr der Magen wehtat. Meistens sprach La Lune das Gebet. Ganz selten kam es vor, dass sie ein Kind des Mondes nach vorn bat und ihm diese Aufgabe übertrug. Es war eine Ehre, eine Belohnung, die man sich verdienen musste.
    Jana hatte noch nie das Gebet gesprochen. Allerdings hatte sie auch kein Bedürfnis danach. Wenn sie in der Schule etwas vortragen musste, verhaspelte sie sich jedes Mal. Allein die erwartungsvollen Blicke machten sie nervös.
    Nach dem Gebet sangen sie ein Lied, die Stimmen noch morgendünn und von Schlaf belegt, danach verließen sie das Gebetshaus und gingen in den Speisesaal.
    Endlich durfte gesprochen werden und Stimmengemurmel erfüllte den riesigen Raum. La Lune saß mit den Mitgliedern des engsten Kreises an dem runden Tisch in der Mitte. Um diesen Kern herum waren strahlenförmig die langen Tische der Erwachsenen, der Jugendlichen und der Kinder angeordnet. Männer und Frauen, Jungen und Mädchen saßen voneinander getrennt.
    An diesem Morgen hatte Jana die Aufsicht am Tisch der Kleinen. Sie freute sich immer darauf. Wenn La Lune nicht eine andere Zukunft für sie plante, würde sie gern Kinderfrau werden und im Kinderhaus arbeiten. Vielleicht auch Lehrerin, aber im Augenblick hatte sie genug von der Schule und konnte sich nicht vorstellen, als Erwachsene dorthin zurückzukehren.
    »Ich hab keinen Hunger.« Miri schob ihren Teller weg.
    Eigentlich hieß sie Miriam, aber sie hatte beschlossen, ihren Namen abzukürzen, und es gab inzwischen kaum noch jemanden, der sie beim vollen Namen nannte.
    »Wie wär's mit einem leckeren Honigbrot?«, versuchte Jana, sie zu locken.
    »Bäh!« Miri verzog das Gesicht. »Wieso muss ich essen, wenn ich keinen Hunger hab, und wenn ich dann Hunger hab, krieg ich nichts?«
    »Weil das die Regel ist«, sagte Jana ohne viel Überzeugungskraft. »Ich muss zum Beispiel auch lernen, wenn ich gerade mal keine Lust dazu habe, und habe ich später am Tag Lust zum Lernen, muss ich was anderes machen.«
    »Ich hab Lust zu spielen«, sagte Miri. »Und dann
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