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Das blaue Mädchen

Titel: Das blaue Mädchen
Autoren: Monika Feth
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war der Duft durch das Haus gezogen. Die Mutter machte nahezu alles selbst, um zu sparen. Und das Ersparte ging sofort wieder drauf. Heute war es der neue Zaun, morgen ein Ersatzteil für eine der Maschinen. Sie konnten die Löcher gar nicht so schnell stopfen, wie sie entstanden.
    Marlon holte aus und schlug, holte aus und schlug. Pfahl für Pfahl trieb er in die Erde. Wenn er Glück hatte, würde es heute vielleicht noch für ein, zwei Stunden am Schreibtisch reichen.
    Er hatte große Pläne, aber die konnte er nur in die Tat umsetzen, wenn er dafür lernte. Mehr als die andern, denn er hatte weniger Zeit.
    Und plötzlich hatte er es eilig, mit der Arbeit voranzukommen. Er steigerte sein Tempo, holte mit dem Hammer aus und schlug und schlug, bis er die Muskeln in seinen Armen nicht mehr spürte.

    In dem Moment, als Jana meinte, es keine Sekunde länger aushalten zu können, genau in diesem Augenblick senkte La Lune die Arme und legte Mara die Hände auf die Schultern.
    Zitterte Mara? Schwankte sie nicht sogar ein wenig?
    »Du bist in die Irre gegangen«, sagte La Lune sanft.
    Der Klang ihrer Stimme war das Zeichen.
    Jana hob den Kopf. Vor, neben und hinter ihr hoben sich die anderen Köpfe. Nur Mara blieb in der Stellung, in der sie sich befand.
    »Du hast dich von unseren Gesetzen entfernt«, sagte La Lune.
    Jana war froh, dass die Stille durchbrochen wurde. Gleichzeitig empfand sie ein tiefes Gefühl der Scham, denn La Lune würde Mara bestrafen. Es gab keinen Grund, froh zu sein, wahrhaftig nicht.
    Das Ausmaß der Strafe hing von vielen Dingen ab. Vom Gesetzbuch. Vom Stand der Gestirne. Von der Stimmung La Lunes. Und von der Stimmung der Mitglieder des engsten Kreises.
    La Lune hatte sich mit ihnen beraten. Diese Beratungen fanden meistens in der Nacht statt. La Lune hieß nicht umsonst La Lune. Der Mond war die Quelle ihrer Weisheit, ihrer Inspiration.
    »Bist du dir dessen bewusst?«, fragte La Lune.
    Mara durfte sich jetzt aufrichten, durfte La Lune ansehen und ihr antworten. Aber sie durfte sich nicht erheben, noch nicht.
    »Ja«, sagte sie.
    Sie sagte es leise, flüsterte es beinah.
    La Lune runzelte die Stirn, aber nur kurz, dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, dieses verständnisvolle, gütige Lächeln, für das man sie einfach lieben musste. Ein Lächeln, von dem man sich, nachdem es einmal einem selbst gegolten hatte, wünschte, es würde niemals mehr aufhören.
    Mara begann zu weinen. Man konnte ihre Tränen nicht sehen, weil sie der Versammlung den Rücken zugewandt hatte. Aber Jana wusste, dass Mara weinte. Sie waren Freundinnen. Niemanden kannte Jana besser als Mara. Es war, als könnte sie Maras Tränen in der Kehle spüren.
    Sie widerstand dem Impuls, zu ihr zu laufen und sie in die Arme zu nehmen. Das würde nur die eigene Bestrafung nach sich ziehen. Niemandem wäre damit geholfen, schon gar nicht Mara. Im Gegenteil – ihre Strafe würde nur umso härter ausfallen.
    »Was muss ein Kind des Mondes tun, das sich von den Gesetzen entfernt hat?«, fragte La Lune mit ihrem verstehenden Lächeln.
    Sie sah wunderschön aus. Die Sonne spielte auf ihrem schwarzen Haar und ihrem ebenmäßigen Gesicht. Das weiße Gewand floss an ihrem Körper herab. Auf dem Ring an ihrer linken Hand glomm der große Mondstein.
    »Bereuen«, sagte Mara.
    »Und was ermöglicht die Reue?«, fragte La Lune.
    »Die Bestrafung«, sagte Mara.
    Es lief Jana kalt über den Rücken. Das war nicht Maras Stimme. Das war die Stimme einer Schlafwandlerin, schleppend, fern, gar nicht bei sich.
    Die Mitglieder des engsten Kreises erhoben sich, traten auf La Lune zu und bildeten einen Halbkreis um sie. Auch sie trugen weiße Gewänder. Das Gewand La Lunes jedoch war von Goldfäden durchwirkt, das der Mitglieder des engsten Kreises von Silberfäden.
    »Ich werde dir jetzt deine Strafe verkünden«, sagte La Lune. »Bist du bereit?«
    »Ja«, sagte Mara mit dieser sonderbar fremden Stimme.
    »Du wirst für dreißig Tage ins Strafhaus verbannt«, sagte La Lune. »Nutze die Zeit.«
    Mara sackte in sich zusammen. Jetzt konnte man hören, dass sie weinte.
    Jana spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Sie atmete flach, ihre Fingernägel gruben sich in ihre Oberarme. Dreißig Tage! Ein ganzer Monat!
    Man konnte eine Welle der Unruhe spüren.
    Das Ritual war noch nicht zu Ende. Mara musste sich für die Strafe bedanken.
    La Lune sah auf sie hinab. In ihr Lächeln hatte sich Traurigkeit gemischt. Es fiel ihr nicht leicht zu
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