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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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klaren Stimmen und fühlte die ersten Berührungen der Pfleger. Wenn er allein war, begann er im Zimmer herumzublinzeln, konnte aber außer weißen Wänden nichts entdecken. Der Raum, in dem er lag, war klein. Er reichte, um ein Monster wie ihn gefangen zu halten. Die Tür war kaum von den Wänden zu unterscheiden. Kleine Ritze ließen sie vermuten, ohne Klinke natürlich. Die gab es nur von außen. Wenn sie sich bewegte, und die Tür sich öffnete, was vier bis fünfmal am Tag geschah, drangen nicht identifizierbare Geräusche in sein Zimmer – ein Gemisch aus Gejaule und harten Schlägen auf Metall. War die Tür geschlossen, dichtete sie jedes Geräusch der Station bis zur totalen Stille ab. Dann hörte Dane nur seinen eigenen Atem und die Tätigkeit seiner Organe. Dann herrschte die große Stille in seinem Zimmer. Sie herrschte in seinen Nerven und seinen Muskeln, nur nicht in seinem Kopf. Die Albträume ließen nicht nach. Wenn nicht Sarah in ihnen herumspukte, so war es sein Vater oder eine große Panik.
Einmal am Tag hörte er Sarahs Stimme. Sie redete unaufhörlich mit sich selbst oder auf ihn ein, er wusste es nicht genau. Dabei spürte er immer diese Schmerzen am Rücken durch das ständige Liegen. Er versuchte sich zu drehen, aber es wollte einfach nicht gelingen. Ein Pfleger entdeckte irgendwann beim Waschen blaue Flecken auf seinem Rücken, und da erst begannen sie, ihn regelmäßig zu drehen. Er hörte auch irgendwann seinen Freund Jim. Seine Stimme war leise und kaum hörbar gewesen, genau wie seine Worte. Der Ton war kalt. Ein Abschied. Wie konnte er warm sein, nach allem, was er Jim angetan hatte? Jim ging, und Dane spürte wieder die große Stille um sich. Er hörte Jim nie wieder.
Die Ärzte hielten Dane lange Zeit stark beruhigt, da sie massive Reaktionen befürchteten. Er war nicht der erste Amokläufer in dieser Klinik. Sicherlich in seiner Art, aber eben nicht der Erste. Sie sahen eine Möglichkeit darin, Danes Gewalttätigkeit ein Ende zu setzen, indem sie sein Nervensystem durch Beruhigungsmedikamente an einen längeren Ruhezustand gewöhnten. Die Zeit war irgendwann um, und die Ärzte gaben ihm neue Medikamente. Sie waren schwächer und Dane nicht mehr ganz so benommen. Doch er hielt sich bedeckt, denn er wollte sein langsames Zusichkommen nicht verraten. Sein Instinkt warnte ihn davor, ansprechbar zu sein.
Er hatte schon einmal so eine Geschichte hinter sich, 1993, vor drei Jahren, als ihn fünf verfluchte Junkies übel zugerichtet und anschließend vergewaltigt hatten. Da war er auch in einem Krankenhaus gelandet. Und ihm war schnell klar geworden: Wenn er sich all den Fragen gestellt hätte, die den anderen auf der Seele brannten, wäre sein kriminelles Doppelleben aufgeflogen. Also blieb er Inn . Das hatte ihm das Leben gerettet und die Freiheit dazu. Warum sollte es nicht noch einmal funktionieren? Es war zumindest eine Option, bis sich eine Idee ergeben würde, hier wegzukommen.
Mit den neuen Medikamenten fühlte er plötzlich, dass sich der gewalttätige Teil in ihm tatsächlich zurückgezogen hatte. Er war mit dem Amoklauf irgendwie auf der Strecke geblieben. Wie ein Kind, das sich ausgetobt und wieder zur Ruhe gefunden hat. Das ließ ihn wieder vieles klarer sehen, und er begann in den Stunden, in denen man ihn alleine im Zimmer ließ, zu überlegen, wie er sich verhalten sollte, wenn die Dämmerpräparate noch schwächer werden sollten. Würde man ihm sein Verhalten abnehmen?
Sein Körper lag stets ruhig im Bett, so als würde er schlafen. Sein Kopf jedoch füllte sich mehr und mehr mit Ameisen, die gehetzt und wild in ihm herumliefen, immer auf der Suche nach einer Idee, hier wieder herauszukommen. Sie liefen in der Nacht so wild in ihm herum, dass er glaubte, sein Kopf würde zerspringen. Er schrie innerlich, bis es die Ameisen zerriss.
    Dezember 1996. Kansas City. Sunny Inn.
    Das Sunny Inn lag außerhalb von Kansas City und zeigte sich schon von außen in einem erbärmlichen Zustand. Es wäre untertrieben, wenn man von der Notwendigkeit einer Renovierung sprechen würde. Man könnte auch sagen, es hatte sich seiner Umgebung angepasst. Der Bezirk, in dem es stand, war verlebt und einsam. Die Leuchtreklame verfiel mit dem Zustand der Straße, die selbst unter der schlechten Beleuchtung ihre vielen Risse und Löcher zeigte.
Vielleicht war es einmal ein richtiges Sunny gewesen, aber jetzt kam die Bezeichnung einem Hohn gleich. Es war nur noch ein ein Treffpunkt mittelloser Bettler
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