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Das blaue Haus (German Edition)

Das blaue Haus (German Edition)

Titel: Das blaue Haus (German Edition)
Autoren: Marion Schreiner
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und abgetakelter Prostituierter, die an arme Freier gerieten. Der altrosa Anstrich ließ die einst blühende Zeit dieser Gegend nur noch vermuten. Lange her, zu lange.
Dane hatte den Zustand nicht gesehen, auch die Umgebung nicht. Er hatte nur Inn gelesen. Es war das Wort, das noch vollzählig geleuchtet und eine rosa Leuchtschrift auf die nasse Straße geworfen hatte. Er hatte es eigentlich auch auf der Straße gelesen und dann erst hochgeschaut. Dieses eine Wort hatte ihm für seinen Wunsch nach Schlaf ausgereicht. Er betrat das Gebäude, kurz danach sein Zimmer, und dann lag er in einem schmutzigen Bett, wo er traumlos in einen tiefen Schlaf hinabglitt.
    Draußen auf dem Flur stritt sich ein Ehepaar, nicht laut, aber nervend. Dane öffnete erneut seine Augen, wo er doch eben wieder so schön eingeschlafen war. Es war der Schreck gewesen, der seine Augen öffnen ließ. Stimmen, wie die der Pfleger in Heaven fegten über den Flur des Sunny Inn.
Sein Blick fiel auf die Zimmerdecke über ihm. Sie war nicht weiß wie in der Klinik. Sie war grau, und an einigen Stellen hatte sich der Putz gelöst. Das beruhigte ihn, und er ließ seinen Schreck mit einem langen Atemzug wieder aus sich heraus. Die Beleuchtung des Zimmers war notdürftig. Sie fiel von einer Leuchtreklame gegenüber durch das Fenster ein. Er schaute blinzelnd auf seine Armbanduhr. Sie zeigte ganz klein am unteren Rand des Glases das Datum, den 28. Dezember 1996. Es war später als er dachte. Er erinnerte sich wieder.
    Seit mehr als fünf Tagen musste er schon hier auf diesem Bett gelegen und geschlafen haben – Weihnachten verschlafen – seinen zweiten Hochzeitstag verschlafen. Er war nicht einmal zwischendurch wach geworden, zumindest nicht bewusst. Seine Hand fuhr zum Kinn. Seine Barthaare waren stechend hart. Die Blase drängte. Er fühlte zwischen den Beinen, ob er sich unbemerkt eingenässt hatte. Die Hose war trocken. Sie roch nicht so, als ob Urin in ihr getrocknet wäre. War er doch zwischendurch wach gewesen?
Er unterdrückte den Blasendrang fürs Erste, denn er hatte noch keine Kraft aufzustehen. Er erinnerte sich weiter.
    Gut, dass er für fünf Tage im Voraus bezahlt hatte. Das beruhigte ihn. Wieder schloss er die Augen. Wieder drängte die Blase. Doch da war der andere Drang – der Drang, die Freiheit wieder zu spüren. Er war stärker als die Blase.
Waren auch wirklich alle Medikamente raus aus seinem Körper? All die Dämmer?
    November 1996. Kansas City. Psychiatrie Heaven.
    Was hatten sie ihm nicht alles verabreicht: Flüssigkeiten durch den Schlauch und Medikamente in Spritzen durch dicke harte Nadeln in die Venen hinein oder gar in den Muskel, was tagelang schmerzte. Irgendwie hatte alles einen Weg in seinen Körper gefunden. Ohne Widerstand. Er hatte es geschehen lassen, sicher, warum auch nicht? Er hatte Zeit. Die anderen waren es, die unruhig wurden, als er nicht zu sich kommen wollte. Er brauchte nur den Willen, ruhig zu bleiben. Das machte sie konfus – alle. Ihn machte es sicher – von Tag zu Tag sicherer. Bis es auch die anderen so sicher machte, dass er keine Gefahr mehr darstellte. Er hatte aus der großen Unsicherheit der Ärzte und Pfleger Vertrauen wachsen lassen, wie eine besondere Pflanze, die anfangs viel Aufmerksamkeit bekommt und dann immer weniger beachtet wird, bis sie wie Unkraut zwischen anderem Unkraut verschwindet.
Die Ärzte begingen einen großen Fehler, als sie dachten, ihn wirklich unter Kontrolle zu haben. Wer von ihnen konnte je beurteilen, was er sich mit seiner Ruhe zunutze machte?
Widerwillig ließ er in dieser Zeit die alltägliche Hygienepflege über sich ergehen. Sie, die Pleger, fummelten an ihm herum wie an einem gegrillten Hähnchen. Überall waren ihre Finger – im Gesicht, zwischen den Zähnen, an seinen Genitalien, bis hinunter zu den Zehen. Wie hätte er das verhindern können, ohne sich zu verraten? Aber das alles hatte sich gelohnt. Er dankte Gott dafür, dass niemand etwas bemerkt hatte.
    Dane erinnerte sich, wie die Medikamente schwächer wurden und nach Wochen so knapp dosiert waren, dass er sich zum ersten Mal imstande sah, unbemerkt einen ersten Aufstehversuch zu wagen. Sicher, da war die Kamera, aber sie hatte ein gelbes Signallämpchen an der linken Seite. Von Zeit zu Zeit brannte es, doch meistens war es aus. In den letzten Tagen war die Kamera sogar über Stunden abgeschaltet gewesen. Die Gelegenheit konnte sich nicht deutlicher anbieten, zumal man ihm noch eine weitere Last
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