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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Leichenteile, unter Perücken und wenig überzeugenden Oberflächen verborgen.
    Die Schreckenskammer war am beliebtesten, samstagsmorgens am vollsten: Darin stand eine Guillotine inklusive Opfer und Bediener, ein Inquisitor, und da war auch Jack the Ripper und Sweeney Todd – lauter Gestalten mit glitzernden Augen, die mit dem Tod arbeiteten, ihn wie einen Vertrauten behandelten, ihn hereinbaten. Und hinter ihnen war eine verhängte Tür – ein schmieriger roter Samtvorhang und ein Schild mit der Aufschrift, niemand dürfe hindurch, der noch keine achtzehn Jahre alt sei.
    Der Junge ist noch nicht achtzehn.
    Also ließ sein Vater ihn nicht hinein – mied diese Ecke bei jedem Besuch. Aber dann verpisste sich der Alte wieder, sein Abschied war diesmal sehr endgültig, sehr verzweifelt, begleitet von traurigen Geldangeboten und Ratschlägen, worüber Arthur nicht froh war – außer dass er etwas von dem Geld für die Schuhe ausgab und danach allein in das Museum ging und hinter den Samt schlüpfte, dorthin ging, wo er nicht sein sollte, und aufgeklärt wurde.
    Er hatte vermutet, es würde sich um Sex drehen, was man ihm da vorenthielt, und ganz falsch lag er nicht. Er trat hinein und sah sich Reihen verblichener medizinischer Modelle gegenüber: Bebilderungen von Geschlechtskrankheiten, der Lohn des Lasters: Blasen, Ausschlag, Pockennarben. Es war enttäuschend und abstoßend – das Schlimmste, was Menschen sein konnten, ihre Zerstörung. Das Schlimmste, was er damals kannte.
    »Aber ich bin wieder hingegangen.« Arthur Lockwood mit Beth, der er die Wachsfigurengeschichte erzählt, vor den Fenstern der Suite ist heller, grauer Tag, draußen im Korridor übertragen die Lautsprecher die letzte Ansage ihres Kapitäns – morgen Manhattan, und es war so eine Freude, sie an Bord zu haben.
    Beth und Arthur haben die Lampen angeschaltet, damit sie sehen können: errötete Haut, gezaustes, gezogenes, gestreicheltes Haar – jetzt in Ruhe – die Gesichter von Liebenden – immer noch fast die Gesichter, die sie beim Träumen hatten – und schlicht weiße Bettwäsche, kapitulierte Bettwäsche – und Beth neben dem Mann, der nicht Mr und nicht Arthur ist – der für sie Art ist, und hier ist, und über achtzehn und quer über sein Bett gestreckt, in seinem Schlafzimmer, in seiner Suite – was, so nimmt sie an, inzwischen ihrer beider Bett und ihr Schlafzimmer und ihre Suite geworden ist, die auf der Haut des Meeres balanciert, auf beinahe fünf Kilometern Wasser schwankt, die beharrlich unter ihnen bleiben, während sie ihn ansieht.
    Wir lieben es zu schauen.
    »Ich bin wieder hin.«
    »Ich weiß. Du bestimmt.« Beth ist noch nicht lange wach, und Arthur hat sich flach hingelegt, seinen Hinterkopf knapp unter ihren Rippenbogen gebettet. Sein Gewicht und seine Gedanken drücken auf ihren Atem.
    »Natürlich bist du wieder hingegangen, Art. Du gibst keine Ruhe, du …«
    »Das hast du vorhin nicht gesagt.« Er wirft einen Blick an ihr hinauf. »Du hast vorhin nichts dergleichen gesagt.« Und er streckt die Hand aus, damit sie gehalten wird.
    Und sie hält sie. »Vorhin ist der Grund, warum das hier jetzt romantisch wird. Glaube ich. Vielleicht. Ist alles neu für mich.«
    »Auch nicht gerade mein Gebiet.« Er rückt seine Schultern ein wenig zurecht. »Das hier ist romantisch. Würde ich sagen. Wie ich auch sagen würde – sage – dass es fast immer so ist, wenn man hinschauen muss – mindestens enttäuschend: Man geht hinter den Vorhang oder hebt das Tuch, und da sind keine Wunder – das Geheimnis ist nutzlos, es existiert gar nicht, oder es ist schrecklich und du solltest es nicht sehen müssen.«
    »Ich weiß.«
    »Ich weiß, dass du es weißt … Aber dein Geheimnis – unter diesem Laken – du bist zwar derzeit nicht unter diesem Laken, aber es gab sehr seltene Gelegenheiten, wo du weder völlig nackt noch nur von mir bedeckt warst …« Und er dreht den Kopf so, dass seine Wange an ihrer Hüfte liegt, haucht sacht, leiht ihr seine Wärme. »Wo war ich …? Ich wurde schon wieder abgelenkt.«
    Sie hat allerdings eigene Wärme: »Fehlende geistige Disziplin, Art – das ist dein Problem.«
    »Sicher …« Er stößt trocken Luft aus, sein Beinahe-Lachen. »Das ist mein Problem …« Dann dreht er sich wieder weg von ihr. »Was ich sagen wollte … Es gab Gelegenheiten, wo du sehr bedeckt warst, auf unterschiedlichste Art … Aber ich habe dein Geheimnis gelüftet …«
    Ssschhh.
    Mit seiner trägen Stimme, seiner
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