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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen
Autoren: Rachel Hore
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großen Raum mit hohen Wänden im hinteren Bereich des Hauses, wo man eine schöne Aussicht auf die Dünen in der Ferne hatte.
    »Miss Wincanton, Ihre Gäste sind da.«
    Eine eingefallene alte Frau versuchte, von ihrem Lehnstuhl aufzustehen, schaffte es jedoch nicht.
    »Hallo, Tante Hetty«, rief Lucy. Sie war entsetzt, wie sehr Hetty seit Grannys Beerdigung gealtert war. Dort hatte sie ihre Großtante das letzte Mal gesehen. Lucy ging auf Hetty zu und griff nach ihrer knotigen Hand. Hetty Wincantons wässrige Augen schauten sie verwirrt an. »Ich bin Toms Tochter«, sagte Lucy laut.
    »Ach ja, der liebe Tom«, sagte Hetty deutlich. Ihre Augen hefteten sich auf Beatrice. »Du? Ich wusste nicht, dass du kommst.«
    »Gib mir nicht die Schuld, es war Lucys Idee«, erwiderte Beatrice kühl.
    Lucy holte mit der Pflegerin zwei Sessel für sich und Beatrice herbei.
    »Ich bringe Ihnen gleich Tee«, sagte die Pflegerin und eilte hinaus.
    Da saßen sie nun, aber keine der Frauen wusste, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Schließlich stürzte sich Lucy tapfer hinein. »Tante Hetty, Beatrice hat mir alles über die Familie erzählt und wie … also, wie es dazu gekommen ist, dass Granny meinen Vater adoptiert hat. Ich wusste noch nicht mal, dass er überhaupt adoptiert war, und das Ganze war für mich ein ziemlicher Schock. Kannst du mir vielleicht sagen … ob Dad das gewusst hat?«
    Hettys Augen wanderten misstrauisch von Lucy zu Beatrice und zurück. Dann richtete sie sich in ihrem Sessel auf und befeuchtete ihre Lippen.
    »Er hat es vermutet und Angie einmal danach gefragt. Sie hat ihm erzählt, dass er adoptiert sei, ihn jedoch gebeten, nie darüber zu sprechen. Sie hat ihm gesagt, das täte ihr weh und es spiele ohnehin keine Rolle. Seine wirkliche Mutter habe ihn nicht gewollt. Dann hat sie ihm einen Auszug aus seiner Geburtsurkunde gezeigt, auf dem nicht die Namen beider Eltern standen. Später hat er natürlich die vollständige Urkunde gelesen, und –«
    »Ich erinnere mich!«, fiel Beatrice ihr mit zitternder Stimme ins Wort. »Da stand nur mein Name, nicht der von Guy. Das Standesamt war ausgebombt worden, und das Mädchen war eine Vertretung. Sie hat mir erklärt, der Name des Vaters würde nicht angegeben, wenn man nicht verheiratet war. Da lag sie jedoch falsch. Ich hätte Guys Namen auf eigenen Wunsch nachtragen lassen können, aber als ich das herausgefunden hatte, war es schon zu spät.«
    »Wie traurig, dass Granny ihm nichts erzählt hat!«, warf Lucy ein.
    »Ich vermute, es war zu schwierig für sie«, meinte Beatrice. »Für ihn vielleicht auch.«
    »Er hat nie zu mir oder Mum irgendwas davon gesagt. Warum?«
    »Ich weiß es nicht. Doch, ich weiß es. Er schämte sich. Die Menschen hatten früher ein ausgeprägtes Schamgefühl.«
    Lucy war verblüfft. »Du meinst, weil er adoptiert war?«
    »Weil er ein uneheliches Kind war.«
    Was für ein altmodischer Ausdruck, dachte Lucy. Sie glaubte nicht, dass ihr Vater aus diesem Grund nicht darüber geredet hatte. Neben ihr scharrte Beatrice unruhig mit den Füßen.
    »Ich weiß nicht, was sie dir erzählt hat«, sagte Hetty. »Es würde mich überraschen, wenn es die ganze Geschichte war.« Und plötzlich schienen ihre Gedanken umherzuwandern. »Ich weiß nicht, warum sie eigentlich überhaupt nach Carlyon kommen musste. Niemand hat mich gefragt, nicht die kleine Hetty – oh nein.« Lucy begriff sogleich, dass Hetty über ihre Kindheit sprach. »Sie dachten, dass ich keine Rolle spiele. Immer nur rumgeschoben wurde ich, von Haus zu Haus. War immer im Weg. Meine Mutter hat mich nicht gewollt, weißt du? Einmal hat sie es mir sogar gesagt: Sie hätte mit der Familienplanung abgeschlossen gehabt, und dann sei ich gekommen.«
    Lucy starrte sie verwirrt an und schaute dann zu Beatrice, deren entsetzter Blick auf Hetty geheftet war.
    »Und so kam Miss Etepetete hier noch dazu, und niemand nahm mehr von der armen Hetty Notiz. Sie gab vor, nett zu mir zu sein, aber ich wusste, was sie wollte – so sein wie wir. Doch das war sie nicht!«
    »Hetty, das ist einfach lächerlich«, entgegnete Beatrice. »So war das doch überhaupt nicht! Du warst ihnen wichtig, immer!«
    »Wirklich?«, erwiderte Hetty. »So hat es sich aber nie angefühlt. Es war immer ›Ed hier‹ und ›Angelina da‹. Selbst Peter ist besser weggekommen als ich. Und dann …« – Hetty wandte sich Lucy zu – »… geht sie weg und kriegt ein Baby, und es gibt keinen Vater. Aber wir wussten, wer
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