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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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bedenklichen Angewohnheiten, die sie bei ihren halbwüchsigen Söhnen entdeckt hatte, zu erklären, auch auf die Begegnung mit der wahnsinnigen Genofefa in der frühesten Kindheit gestoßen. Und es gab bittere Momente, in denen sie sich anklagte, daß es ja schließlich ihre eigene Maßnahme gewesen sei, die die Augen und Ohren der noch unschuldigen Kinder auf diese Rasende und ihren Gesang gerichtet hatte.
    Dennoch – war dies Sünde gewesen, sträfliche Leichtfertigkeit, die man sich im Beichtstuhl in tiefer Reue vorwerfen mußte? Für einen guten Vorsatz war es ohnehin zu spät. Genofefa war ja nun schon mehr als zwei Jahre aus dem Haus, was heißt zwei Jahre? Drei, nein fünf Jahre mußten das schon sein, wenn sie richtig rechnete. Es kam ihr bei dieser Zählung zu Hilfe, daß Genofefa seit ihrer Abreise große Geschicklichkeit im Umgang mit dem Webstuhl erworben hatte und Jahr für Jahr eine von ihr |24| selbst entworfene und angefertigte Tischdecke, in die als Muster eine große Sonnenblume eingearbeitet war, meiner Mutter als Geburtstagsgeschenk schickte. Man kann sich vorstellen, wie nachdenklich die Beschenkte wurde, als sie in einem schönen Bildband mit einer Reproduktion von van Goghs Sonnenblumen las, daß auch dieser Meister verrückt gewesen sei. Fünf Decken stapelten sich nunmehr im Wäscheschrank meiner Mutter. – »Mein Gott, wie die Zeit vergeht«, sagte sie laut. Der Prälat sagte: »Bist du dir endlich darüber im klaren, wie hochmütig du gesprochen hast? Ist dir endlich eine von deinen Hauptsünden eingefallen, die du bereit sein könntest zu bereuen?«
    Gerade die Erwähnung des Begriffs »Hauptsünde« festigte jedoch in meiner Mutter den Entschluß, die Berufung der Genofefa in unseren Haushalt nicht zu bekennen. Genofefa war nun einmal dagewesen, und man durfte nicht vergessen, daß die Äußerungen der Geisteskranken ihrem Willen entzogen waren, daß andere Mächte durch ihren Mund sprachen: »Sie war ein Sprachrohr!« sagte sich meine Mutter und fühlte das unausdeutbare Schicksal, das die Hauff zu uns geführt hatte.
    Nicht, daß meine Mutter ein unbeschriebenes Blatt gewesen wäre. Ihr Sündenbewußtsein war geschärft, sie hatte allerhand auf dem Kerbholz und hatte sich stets darüber Rechenschaft abgegeben. Der Seifengeruch, der im Beichtstuhl herrschte und von dem man nicht wußte, ob er der Schmierseife entstammte, mit der die Kniebank gescheuert worden war, oder einem sehr schlichten Beichtkind, das der seelischen Reinigung die samstägliche körperliche Reinigung vorangeschickt hatte, oder ob er Zeugnis für die asketischen Formen der Körperpflege des Prälaten selbst ablegte, erinnerte sie an die Stätte einer der vernichtendsten Niederlagen ihrer Moral, der im Souterrain gelegenen Küche ihrer längst verstorbenen Eltern, wo sie etwas angestellt hatte, was sie zwar seitdem schon öfter in der Beichte gestanden hatte, das ihr aber immer noch als Inbegriff der Verfehlung vor dem Himmel wie vor den Menschen erscheinen wollte und sich deshalb zu reuigem Bekenntnis immer wieder neu eignete.
    Die Jahrzehnte waren nun darüber hingegangen, das Elternhaus |25| war von den Bombenflugzeugen zerstört, aber genauso, wie das Souterrain mit seiner Küche dem Volltreffer unversehrt standgehalten hatte, überdauerte auch die Tat in ihrer Frische die mehrfach über sie dahingegangenen Absolutionen. Da gab es also doch noch etwas zu beichten, selbst wenn bei rücksichtsloser Prüfung die letzten Jahre in fleckenloser Schuldfreiheit dalagen.
    Es war Sonntagmorgen kurz nach Neujahr, und es war noch sehr früh. Auf den Apfelbäumen und auf der Zeder lag feiner Rauhreif. Im Haus war es kalt, noch in keinem Zimmer war geheizt, denn mein Großvater mißtraute den Dienstmädchen und verdächtigte sie, mit der Kohle, die schließlich nicht sie bezahlt hätten, allzu verschwenderisch umzugehen. Er bestand darauf, daß nur unter seiner Aufsicht die Öfen angemacht würden, und so kam es, daß seine grundsätzliche Erklärung, er denke nicht daran, die Straße zu heizen, in Wahrheit allzu oft bedeutete, daß er auch in seinem Haus kein Feuer machen ließ, da seine Liebhabereien ihm nur wenig Zeit gönnten, um die Aufsicht über die Kohleneimer schleppenden Mädchen in einem anderen Zimmer als seinem Schreibzimmer auszuüben. Dort herrschte eine angenehme Temperatur, die die Fingergelenke geschmeidig hielt für ihre diffizilen Aufgaben, das Führen einer großen Papierschere nämlich, mit der er die
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