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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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andere Art Nikolaus mit ihrer dunklen Stimme und mit dem Stampfen der Füße, als sei sie eine Schauspielerin in Hosenrolle, die recht bubenhaft wirken wolle? Genofefa ging über das exaltierte Betragen von Laienschauspielern weit hinaus. Ihr Gesang stieg aus den Tiefen ihres Bauches, bewegte ihren großen Busen, der ihm durch feinschwingende Vibration noch mehr Klangfülle gab, und stieg dann aus ihrem Mund zur Zimmerdecke auf. Den Kopf hatte sie so weit zurückgeworfen, daß ihr Körper wie ein Rohr war, eine fleischerne Flöte, über deren Öffnung der Wind bläst und sich seine Melodien spielt. Er war ein gelegentlich gurgelnder, dann wieder hallender Gesang von vollständiger Freiheit der Komposition, aber mit einem Text in gebundener Rede, der uns Zuhörern erlaubte, an einem roten Faden durch das Auf und Ab des befremdlichen Liedes zu finden.
    Das Lied von Genofefa spielte auf allerälteste Umstände an, vor dem Beginn der blutigen Geschichte, im Garten Eden, wo die Menschen, wie wir wußten, nackt unter den Bäumen umhergelaufen waren und sich an den Händen gehalten hatten. Auf den Flügeln eines Altars im Dom waren die beiden abgebildet, wie sie in puppenhafter Blöße ein Wäldchen verließen, um sich auf |22| einer kleinen Wiese zu zeigen. Ihre Körper waren glatt und rund und gleich. Adam war nur an seinem kurzen Haar, Eva an ihren lang auf die Schulter fallenden Locken zu erkennen, alles andere war noch in ihrem Körper unter der sie bekleidenden rosigen Haut verborgen. Eva hielt eine goldene Frucht in der Hand, und ganz offensichtlich stellte das Bild dar, was Genofefa besang, wenn sie sich vor uns aufstellte und den Mund aufmachte:
    Als der Adam den Apfel aß
    und die Eva den Stiel,
    als der Adam schon fertig war,
    hat die Eva noch viel.
    Meine Mutter hörte dieses Lied ein einziges Mal, es war auch das letzte Mal, daß Genofefa es laut und aus vollem Herzen sang. Sie flüsterte es von da ab in unsere Ohren, wenn sie sich unbeobachtet glaubte, da es, wie sie sagte, laut gesungen den Oberarzt verletze, der in seinem letzten Brief, den er in einem öffentlichen Pissoir geschrieben hatte, während sich draußen meine Mutter mit der Klofrau schlug und biß, bereits angekündigt hatte, er werde mit den Elektroschocks wieder anfangen, wenn Genofefa dieses ihn verletzende und erregende Lied noch einmal anstimme. Genofefa bekam dann einen Webstuhl, es war davon schon die Rede gewesen. Ihre besorgten Eltern ließen ihn in ihrer Villa auf dem Fabrikgelände aufstellen und studierten mit Eifer die Bedienungsanleitung, um sie ihrem verwirrten Kind nahebringen zu können. Genofefa verließ unser Haus mit der Ankündigung, sie werde jetzt Schleier weben, hauchdünne, durchsichtige Schleier, mit Sternengold bestickt und unendlich lang, damit meine Mutter bei ihrer nächsten verliebten Zusammenkunft mit dem Oberarzt im Impfzimmer des Städtischen Schlachthofs gut gerüstet sei. Der Chauffeur ihrer Eltern, ein noch ländlich gebliebener Mensch, sagte »das arme Ding«, als er sie sah, und setzte sie behutsam in das Auto. Sie winkte fröhlich aus dem Wagenfenster mit den Kämmen in der Hand, die sie sich schon wieder aus dem Haar genommen hatte.
    |23| Aber erst nach Genofefas Abreise wurde deutlich, daß meine Mutter in Gedanken an das Mädchen ihre Unbefangenheit verloren hatte. »Wenn sie nur das Lied nicht gesungen hätte«, sagte sie zu meinem Vater. Den Briefroman von ihrer Beziehung zu dem Oberarzt, der weit ausführlicher vorgetragen worden war als das Schnadahüpferl, hielt sie für weniger gefährlich, denn sie vermutete, daß die Zusammenhänge für Kinderhirne zu verwickelt gewesen seien. Anders das einprägsame Lied, das mein Bruder und ich gerne sangen und von der ersten bis zur vierten und letzten Zeile auswendig konnten. Der Text dieses Liedes galt allgemein als heikel, wenngleich sein Inhalt nicht frei von Undeutlichkeit war, das Sujet war nun einmal verfänglich. Wer wußte, ob nicht in dem Apfel- und Stielessen Andeutungen verborgen waren, die nur für erwachsene und gereifte Menschen bestimmt waren. Meine Mutter blieb noch lange nachdenklich, wenn sie an Genofefa und ihr Lied erinnert wurde, und diese Grübeleien erhielten neue Nahrung, als sich ihre Kinder mit dem Heranwachsen immer besorgniserregender entwickelten: Als gläubige Rationalistin, die dem Kausalitätsprinzip, wie es ihr in der Devise »Nix kommt von nix« entgegentrat, große Ehrfurcht entgegenbrachte, war sie bei dem Versuch, die
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