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Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
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eine vorsichtige Distanz herauszuhören war, dann vermochten sie dennoch nicht, bei meiner Mutter die Autorität ihres Beichtvaters zu beeinträchtigen.
    Sie war seine Tochter, aber keine aufsässige, schlimme Tochter, sondern eine nachsichtige, eine Tochter, die sich ihre eigenen Gedanken macht, die aber niemals dabei den Respekt vor dem väterlichen Haupt vergißt, wenn sie es aus der Ferne betrachten darf. In dieser Gesinnung ließ sie die Einkaufspakete ohne Furcht vor den auf Warnungstafeln genannten Taschendieben in ihrer Kirchenbank, in der sie die Wartezeit vor dem Beichtstuhl verbracht hatte, indem sie in ihrem Gebetbuch blätterte, das, vollständig wie ein Photoalbum, die Bilder der bereits gestorbenen Verwandten enthielt. »Das sieht eigentlich trauriger aus, als es war«, dachte meine Mutter und klappte das Buch zu, nahm ihre kleine Handtasche und stand auf, um in den Beichtstuhl hinüberzugehen, denn das rote Birnchen über der linken Tür war erloschen und aus der Pendeltür war eine kleine Frau mit einem steilen grünen Hut getreten, der aussah wie der Kopfputz einer gotischen Büßerin, die sich in aller Öffentlichkeit der Hoffart bezichtigt. Meine Mutter öffnete die Tür in Gedanken an ihre Vorgängerin, die auffällig lange im Beichtstuhl geblieben war. Ein schneller Blick gab ihr die Vorstellung ein, |18| daß diese Frau ganz anderes gebeichtet hatte als die Teufeleien, die sie beständig ausheckte. »Daß die sie ja nicht bestärken«, dachte meine Mutter, während sie niederkniete und Bernsteinlicht sie durch die gelben Glasscheiben der Türen umfloß, denn sie war der festen Überzeugung, daß ein alter Kirchenmann viel zu arglos sei, um den Selbstbetrug verstockter Sünder zu vereiteln, »und wem hilft das? Worauf muß sich die Reue denn schließlich beziehen?« Ihre Gedanken verloren sich, denn obwohl man ihr die Doktrin der Poenitenz vorgetragen hatte, stellte sie oft fest, daß sich die Fäden der Argumentation leicht verhedderten, wenn man sie auf eigene Faust wiederholen wollte.
    Dann bemerkte sie, daß der Monsignore geradezu zappelig geworden war. Seine kleinen Augen blitzten im Dunkeln, er sah, was völlig unüblich war, meiner Mutter ins Gesicht: »Wollen Sie nicht beginnen?« flüsterte er gereizt.
    »Ja, ja«, flüsterte meine Mutter also, »ich war in Gedanken. Ich bin bereit, wir können anfangen. Es wird auch nicht so lange dauern wie bei der Frau mit dem grünen Hut, die Sie eben dringehabt haben, ich habe nämlich diesmal nichts gemacht, überhaupt nichts.« Das heilige Eichhörnchen bewegte sich drohend und schweigend in seinem schwarzen Käfig und richtete die Ohren auf in mühsamer Beherrschung, meiner Mutter schien es, als wäre es vor Wut beinahe geplatzt. Dann flüsterte es: »Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht lauschen? Hab ich dir nicht das letzte Mal schon verboten zu lauschen?« – »Ich hab überhaupt nicht gelauscht«, sagte meine Mutter. »Ich habe in meinem Gebetbuch die Photographien angesehen und sonst nichts. Es hat ja einfach so lang gedauert bei der Frau. Der Sonnenstrahl ist durch die Kirchenfenster von den sieben das Herz Mariens durchbohrenden Schwertern bis zur Mütze des Kaiphas gewandert. Ich hatte zum Schluß überhaupt kein Licht mehr.«
    Der Priester hatte sich abgewandt, horchte in konzentrierter Haltung, die den Bekenntnissen meiner Mutter galt, und hörte statt dessen einstweilen nur das Schnappen des Brillenetuis. »Bitte«, flüsterte der Prälat. »Ich bin soweit.« – »Ich auch«, antwortete meine Mutter. »Ich bin fertig. Ich habe doch schon gesagt, |19| ich habe diesmal nichts gemacht. Ich habe keine Sünden zum Aufzählen.« – »Das gibt es nicht«, sagte der Priester. »Doch«, sagte meine Mutter, »ich muß es ja wissen. Sind Sie es, der nicht gesündigt hat, oder bin ich es?« – »Welche Vermessenheit«, sagte der Monsignore, »welche religiöse Blindheit! Du weißt nichts vom Augustinus? Natürlich nicht. Man hat dich nicht unterwiesen, und du hast auch von selbst nichts gelesen, und du weißt nicht, daß jeder heilige Einsiedler, der allein in der Thebaïs sitzt, jeden schlimmen Tag, den Gott werden läßt, sieben Todsünden begeht.« Meine Mutter stutzte. Wieso sieben Sünden, wo der heilige Asket doch allein war? Nun gut, der brave Mann mochte seine Freude daran finden, jeden Tag irgendein Gelübde zu brechen, aber dann noch von einem heiligen Mann zu reden, schien ihr schönfärberisch. Bei einem Heiligen vermutete
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