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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe
Autoren: Heidi Rehn
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Hundsfott!«, rief der Stadtknecht und fuchtelte wild mit der Pike durch die Luft. Der Händler suchte ihn zurückzuhalten, redete emsig auf ihn ein. Endlich setzte er sich in die entgegengesetzte Richtung in Bewegung.
    »Hat es dich schlimm erwischt?« Keuchend stieg ein Kaufmann die wenigen Stufen des Beischlags vor dem Wirtshaus zum Grünen Baum nach oben. Als er sich Lina näherte, die dort noch immer reglos auf dem Boden saß, lag ein mitleidiges Lächeln auf dem weißbärtigen Gesicht. »Kannst du aufstehen, oder brauchst du Hilfe?« Noch bevor sie protestieren konnte, fasste er sie behutsam am Arm und half ihr auf die Beine. »Darf ich dich auf einen Teller Suppe einladen? Du siehst aus, als könntest du eine Stärkung vertragen. Die Wirtin hat ein großes Herz für Menschen in Not.«
    »Danke, nein«, beeilte sich Lina zu versichern. »Das ist sehr großzügig von Euch, gnädiger Herr. Doch es geht mir schon besser. Jetzt, da das Donnern vorbei ist, ist alles wieder gut. Ich muss weiter. Habt vielen Dank.«
    Froh, nach wenigen Schritten bereits mitten auf der Langgasse zu stehen, mischte sie sich alsbald unter die Menge. Als Teil der wogenden Masse, die sich nordwärts zur Krämerbrücke schob, fühlte sie sich wohler. Das gab ihr Zeit, zu überlegen, was sie als Nächstes tun sollte. Im Kneiphof herrschte gewiss die größte Aussicht, eine ordentliche Stellung zu finden. Die reichen Bürger und Kaufleute, die in der Stadt zwischen Altem und Neuem Pregel wohnten, konnten immer noch eine zusätzliche Magd gebrauchen, um die aufwendigen Hausarbeiten zu erledigen.
    In den letzten Jahren hatte sich die Langgasse verändert. Neben ausladenden An- und Vorbauten auf den Beischlägen trugen einige Gebäude zusätzliche Figuren oder Inschriften als Verzierungen auf den Giebeln, andere hatten Säulen rechts und links des Eingangs erhalten, wieder andere waren durch größere Fenster verschönert worden. Hie und da wurde eifrig gewerkelt und gebaut, um die Häuser noch imposanter zu gestalten. Kein Zweifel, den Kneiphofern ging es sehr gut, wenn nicht gar besser als je zuvor. Linas Zuversicht, in einem Haushalt als Magd unterzukommen, wuchs.
    Auf der Krämerbrücke wurde das Gedränge noch dichter. An den Buden gab es großen Andrang. Auch drüben in der Altstadt ging es derzeit nicht weniger munter zu. Lina erinnerte sich an das, was sie auf ihrem Fußmarsch von Pillau nach Königsberg aufgeschnappt hatte: Seit zwei Jahren schon tagte der Landtag im kurfürstlichen Schloss.
    »Achtung!« Mit einem beherzten Sprung zur Seite rettete sie sich im letzten Moment vor einem Karren, der ihr unerwartet in die Quere gekommen war. Während der Knecht noch fluchte, blieb sie wie angewurzelt stehen: Keine fünf Schritte hinter dem Karren standen zwei Soldaten in langen, blauen Röcken, die Gesichter von den braunen Filzhüten halb verdeckt. Sie traute ihren Augen nicht: zwei kurfürstliche Söldner, unbewaffnet und ganz allein mitten im Kneiphof? Ihr Herz klopfte schneller. Nach allem, was sie über den Zwist zwischen Friedrich Wilhelm und den aufrührerischen Kneiphofern wusste, konnte es nicht lang dauern, und man schnappte die Blauröcke, vierteilte sie und knüpfte ihre sterblichen Reste an der nächsten Ecke auf. Argwöhnisch äugte sie umher. Außer ihr schien niemand Anstoß an den beiden zu nehmen. Vorsichtig ging sie weiter.
    Ihr Unbehagen rührte noch von einem weiteren Umstand: In den vergangenen Wochen hatte sie sich mehr als einmal der Zudringlichkeit der Soldaten erwehren müssen. Kaum steckten die Burschen im blauen Rock des kurfürstlichen Heeres, schon meinten sie, alle Frauen gehörten ihnen. Nein, so rasch wollte sie den Soldaten nicht mehr unter die Augen kommen. Von einer Stellung in der Altstadt sollte sie besser Abstand nehmen. Rund um den Landtag tummelten sich die Blauröcke gewiss erst recht. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Vielleicht sollte sie ihr Glück hinten im Löbenicht versuchen. Die Malzbrauer und die dort ansässigen Handwerker galten zwar auch als wohlhabend, gaben sich aber weitaus weniger hochnäsig als die reichen Kneiphofer Kaufleute oder die Altstädter Bürger. Sollte sie dort nichts finden, konnte sie in den bescheideneren Vorstädten um Arbeit bitten. In den zahlreichen Krügen und Gasthäusern auf dem Sackheim, dem Steindamm oder dem Rossgarten sowie drüben im Haberberg jenseits des Alten Pregels gab es gewiss auch den nahen Winter über Bedarf an einer tüchtigen Kraft. Denn auch in
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