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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe
Autoren: Heidi Rehn
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brav und fleißig ich früher jede Arbeit für Euch erledigt habe. Nie habe ich gemault oder mich beklagt. Habt Ihr das alles schon vergessen?«
    Händeringend wollte sie auf die Knie sinken. Die Wirtin aber schubste sie weiter. Linas Blick fiel auf den Wirt. Längst hatte der sich die Hose hochgezogen, den Gürtel geschnürt und war zum Ausschank geschlurft. Als ginge ihn das Gekeife nicht das Geringste an, füllte er sich einen Krug mit Bier und leerte ihn in einem Zug. Genüsslich wischte er sich den Schaum von den Lippen, schenkte nach, trank abermals, die Augen gierig auf das schäumende Nass in dem Tonkrug gerichtet. Über so viel Gleichgültigkeit wurde Lina heiß und kalt zugleich.
    »Untersteh dich, noch einmal einen Fuß in mein Haus zu setzen!«, fuhr die Wirtin zu keifen fort. Eng umklammerte sie Linas Oberarm, zerrte sie zur Tür und stieß sie entschlossen hinaus. »Nie mehr sollst du mir unter die Augen treten!«
    3
    L ina meinte, der Kopf platze ihr, so laut hallte das Türschlagen der Wirtin in ihren Ohren nach. Erst allmählich begriff sie, dass der Lärm nicht von der nahen Tür, sondern von weiter entfernt zu ihr herüberklang. Es war auch kein Knallen, sondern ein richtiges Donnern gewesen. Im nächsten Moment schien die Erde zu beben. Verwundert setzte sie sich auf und schaute Richtung Langgasse. Aus den letzten Monaten, die sie im Hafen von Pillau verbracht hatte, war ihr diese Art von Lärm nur allzu bekannt. Das war kein herbstliches Gewitter, sondern diese Art von Donner war von Menschenhand gemacht. Sie schloss die Augen wieder, um den Gedanken zu verdrängen, dass die Landung des kurfürstlichen Heeres unter Führung von Friedrich Wilhelm schon seit einigen Wochen in der aufmüpfigen Stadt am Pregel angekündigt war. Ein inniges Ave-Maria würde helfen, zur Sicherheit fügte sie noch ein Paternoster hinzu. Sie wagte einen zweiten Blick, doch in der nahen Langgasse hatte sich wenig geändert. Es donnerte und grollte weiter.
    Nun nahm sie auch die anderen Menschen wahr, die erstaunt die Köpfe gen Himmel hoben, doch das strahlend blaue Firmament war bar jedes Anzeichens eines spätsommerlichen Unwetters. Das Donnern indes dröhnte weiter über die Mauern der Stadt hinweg. Ängstlich hielten Passanten ihre unruhig werdenden Pferde, Esel und Ochsen an den Riemen, stellten die Leiterwagen und Karren ab. Das eben noch so muntere Zwitschern der Spatzen war verstummt, selbst das heisere Krächzen eines schwarzen Raben hörte auf. Verwirrt wieherten die Pferde ob der unnatürlichen Starre, suchten sich durch Schütteln aus den kurzen Zügeln zu befreien. Die Zugochsen grunzten und scharrten mit den Hufen, zahlreiche Hunde kläfften aufgeregt dagegen an. Schon wurden die ersten Flüche laut, weil die Unruhe der Tiere nicht mehr einzudämmen war. Ein Kind greinte, die Mutter stimmte ein beruhigendes Lied an, bald fielen andere Frauen in den zarten Gesang ein. Darüber verklang das Donnergrollen allmählich wieder in der Ferne.
    »War wohl doch nur eine Übung drüben auf der Friedrichsburg«, meinte einer.
    »Was auch sonst? Nie und nimmer traut sich der Kurfürst, die Kanonen auf die Stadt zu richten«, stellte ein Fuhrmann in barschem Ton fest und strich seinem Esel über das staubige Fell. »Richten mag er die Geschütze gern auf unseren Kneiphof. Doch niemals wird er wagen, sie tatsächlich gegen uns abzuschießen.«
    Sein Nebenmann ergriff den vor ihm stehenden Karren und schob wieder an. »Stimmt, dazu müssten seine Soldaten erst wissen, wie das mit dem Zielen überhaupt geht.« Mit grimmiger Miene rückte der Stadtknecht seinen breitkrempigen Hut zurecht.
    Die Umstehenden lachten befreit auf. Mit einem Mal schien niemand mehr eine ernsthafte Gefahr in dem Kanonendonner zu sehen. Davon wurde Lina erst recht bang. Immerhin war sie vor wenigen Tagen erst von Pillau an den Pregel gekommen und wusste, wie ernsthaft man am Haff mit der Ankunft des Kurfürsten höchstselbst gerechnet hatte. Der Geschichte mit der angeblichen Pest im Kneiphof schenkte Friedrich Wilhelm wohl doch keinen Glauben mehr.
    »Auf geht’s!«, rief der Kutscher und schwang die Peitsche über dem massigen Schädel seines Ochsen. Schon ruckte der Wagen an, dahinter setzte sich ein mit Fässern beladener Karren in Bewegung. Der Stadtknecht half einem Händler, einen schweren Sack zu schultern. »Aus dem Weg!«, rief der Kutscher. Gefährlich dicht an den beiden vorbei lenkte er sein Fuhrwerk zur Grünen Brücke. »Pass auf, du
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